Das Echo der Vergangenheit
nicht bis Carly angerufen hatte. Dann hatte die Hilflosigkeit sie umfangen wie das Wasser in der Badewanne.
Sie ging die wenigen Häuserblocks bis zur Kirche und dachte an die Liebe, die sie in diesen Mauern gefunden hatte, den Trost eines allmächtigen, allwissenden Beschützers, eines liebenden, alle Bedürfnisse stillenden Wesens. War es diese Intensität, die sie auf Erics starken Gefühle vorbereitet hatte? Hatte sie Gottes Mantel auf seine Schultern gelegt?
Wenn es, wie Matt behauptete, nur menschliche Vernunft und Beziehungen gab, dann konnte sie nur der Liebe zu ihrem Kind vertrauen. Vielleicht war das ja das wahre Licht der Welt, die einzige Wahrheit.
Andere gesellten sich auf dem Gehweg zu ihr und traten durch die Türen. Sie ging hinein. Der Duft von Kerzen und poliertem Holz und die geflüsterten Gebete umgaben sie, als sie sich hinkniete und das Kreuzzeichen schlug. Sie schob sich in die vorletzte Bank.
Ihre Lippen bewegten sich nicht im Gebet; ihr Blick wanderte nicht gen Himmel oder nach vorne zu dem Kruzifix. Er blieb auf ihre Hände gerichtet, auf die Narben an ihren Handgelenken, kleine Fesseln. Herr . Sie empfand keine Heiligkeit, sondern nur Verlust.
Wenige Augenblicke später erschien er wie ein Schatten neben ihr. »Hallo, Sofie.« Seine Stimme klang gepresst, so als täte es ihm weh, ihren Namen auszusprechen.
Sie drehte sich um und sah das Gesicht an, das so attraktiv, so fesselnd war, dass sie den Blick nicht abwenden konnte. Selbst ausgezehrt hatte er eine raue Anziehungskraft, die ihr die Kehle zuschnürte. Sie erinnerte sich daran, wie es war, ihm zu gehören. Von seinem Hunger verschlungen zu werden. Aber was sie jetzt sah, war kein Hunger.
Sein Blick sank wie ein Speer in ihr Herz. »Wo ist meine Tochter?«
Sie holte zitternd Luft. »Sie ist in Sicherheit.«
»Bei ihm?«
Sie erschrak. »Was?«
»Bei dem Mann, mit dem du zusammen bist. Hat er sie?«
Sie konzentrierte sich auf den Altar, während ihr das Blut in den Kopf stieg.
»Dachtest du, ich würde es nicht erfahren?«
Sie zitterte. »Ich dachte, es wäre dir egal.«
»Sofie.« Er nahm ihre Hand in seine. »Ich habe dich jeden Tag vermisst.«
Sie durchbohrte ihn mit einem Blick. »Warum hast du mich dann nur beobachtet und Fotos von mir gemacht?«
Sein Kopf fuhr hoch. »Du weißt das?«
»Ein ganzer Karton voller Bilder, hat Carly gesagt.«
Er atmete aus. »Das ist es also. Sie hat die Bilder gesehen. Ich hätte wissen müssen, dass sie nach dir sucht.«
Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie die anderen Bilder gesehen hatte. Wenn er glaubte, dass sie Bescheid wusste … was dann? Würde es ihm peinlich sein? Würde er wütend werden? So sehr, dass er jemandem wehtat?
Er schluckte. »Ich habe ihr erlaubt, dich anzurufen. Ich hätte sie davon abhalten können, aber das habe ich nicht. Nachdem sie es herausgefunden hatte. Ich habe sie nicht von dir ferngehalten, weil ich weiß, wie es ist, wach zu liegen und sich nach deiner Stimme zu sehnen.«
»Du wusstest, wo du mich finden konntest, Eric. Wir hätten reden können.«
Er schüttelte den Kopf mit einem Blick, der einen so tiefen Verrat ausdrückte, dass es sie überraschte. Was konnte er ihr denn vorwerfen?
Sein Flüstern klang rau. »Du hast mich verlassen.«
»Was?« Sie konnte kaum atmen.
»Du hast versucht, dorthin zu gehen, wo ich dich nie mehr finden konnte. Du hast versucht, mir dein Leben zu nehmen.«
Ihre Brust bebte. »Du hast mich verlassen, Eric.«
»Ich wollte, dass du siehst, wie es ohne uns wäre.«
Tränen traten ihr in die Augen. Sie hatte es gesehen.
»Aber du, du hast etwas getan, damit wir nie wieder zusammenkommen können.« Seine Stimme brach.
Schuldgefühle schlugen über ihr zusammen wie eine Flutwelle. »Ich wollte dir nie wehtun.«
»Du wolltest mich vernichten.«
Sie zitterte, als die schreckliche Möglichkeit in ihr widerhallte. Hatte sie das gewollt? Sie stellte sich die Rasierklinge in ihrer Hand vor. War es Eric gewesen, den sie aus sich herausgeschnitten hatte, dessen Liebe sie aus sich herausströmen ließ, bis sie nicht mehr wehtun konnte? Vielleicht hatte sie gar nicht aufgegeben, sondern sich nur gewehrt.
War der Schnitt dieser Klinge der erste Akt der Unabhängigkeit gewesen, der ihr in den vier Jahren, die sie ihn kannte, gelungen war? Sie sah in sein Gesicht und erkannte darin die Folgen. Ihr Verhalten hatte ihn zu einem gebrochenen Mann gemacht. Hatte sie ihm den entscheidenden Stoß versetzt, ihn über eine
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