Das Echo der Vergangenheit
meine Tochter.«
»Da drüben ist es zu gefährlich. Es ist mein Job, Kinder aus gefährlichen Situationen zu holen.« Während er sprach, musterte er den Mann, für den Sofie sich beinahe das Leben genommen hätte.
Eric schien ihn ebenfalls einzuschätzen, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Kind. »Komm her, Carly.«
Matt hielt sie fest. »Lass erst Sofie gehen.«
Eric wandte sich wieder ihm zu. »Sofie will aber nicht gehen. Sie will ihr kleines Mädchen.«
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er in Sofies Gesicht sah.
»Lass sie gehen, Matt«, sagte sie.
»Du weißt doch, dass ich das nicht tun kann. Lasst uns nach unten gehen ...«
Eric stieg auf den erhöhten Rand des Gebäudes und die Knöchel seiner Hand, die Sofies Arm umfassten, wurden weiß. »Wenn ich gehe, geht Sofie mit.«
»Daddy!«, kreischte Carly.
Der Wind zerzauste Erics Haare. Ihm waren Mord und Selbstmord zuzutrauen. Dieser Gedanke traf Matt wie ein Schlag vor die Brust. Eric hatte nicht vor, hier rauszukommen. Sirenen erklangen – nicht in der Nähe, aber sie wurden immer lauter. Matt biss die Zähne zusammen. Wenn er ihn nur aufhalten konnte, bis die Polizei eintraf … Da riss Carly sich los und rannte auf ihren Vater zu.
»Nein!« Er lief ihr nach.
Eric schwankte. Sofie schrie auf. Carly griff nach ihrem Dad, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor. Eric ruderte mit den Armen und griff nach Carly. Sofie umklammerte sie beide, als er fiel. Er hatte keine Zeit zum Denken, nur zum Handeln. Matt warf sich auf Sofie und packte Carlys Arm, während sie über dem Rand des Daches hing. Die Schreie des Kindes betäubten seine Ohren und überdeckten das Geräusch, als Eric auf dem Boden aufschlug.
Er streckte seine andere Hand vor und umfasste damit Carlys Schultergelenk. Dann hievte er sie hoch, bis Chaz und Rico zupacken und sie über die Kante ziehen konnten. Die Sirenen überdeckten Carlys Schreie, während Chaz sie von der Dachkante wegzog. Matt rollte sich von Sofie herunter und zog sie von der Brüstung. Sie keuchte vor Schmerzen und er vermutete, dass sie ein paar Rippen geprellt oder gebrochen hatte, vielleicht auch das Schlüsselbein. Aber wenn er sich nicht auf sie geworfen hätte, wären alle drei vom Dach gestürzt.
Kapitel 35
Lance war in Gedanken immer wieder bei Sofie in New York. Er spürte, dass sie seine Gebete bräuchte, und so ließ er die Arbeit im Foyer ruhen und brachte Sofie, Matt und Carly im Gebet vor Gott. Inzwischen war der Nachmittag in den Abend übergegangen und er hörte keine anderen Arbeiter mehr um sich herum. Nur Rese saß an eine Wand gelehnt und ihre Miene schien besorgt. »Bist du gedanklich in New York?«
Seine Waden waren verspannt, so, als wäre er stundenlang gelaufen. »Ja.« Er rieb sich den Lendenwirbelbereich.
»Kannst du dich bewegen?«
Er begab sich in die Hocke, zog die Zehen vor und spürte ein Brennen in seinen Achillessehnen. »Ich habe den Boden nicht fertig gemacht.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Du hast stattdessen was anderes gemacht.«
Er sank gegen die Wand ihr gegenüber und streckte die Beine aus. »Ich hätte das Foyer fertigkriegen können.«
»Das wirst du schon noch.« Sie lehnte den Kopf an die Wand. »Bist du so weit, dass wir nach Hause fahren und nachsehen können, was es zum Abendessen gibt?«
»Ist gut.« Er brachte ein Grinsen zustande. So gerne er aß, was Nonna und Star zubereitet hatten, so sehr sehnte er sich doch danach, die frischen Zutaten zu nehmen und selbst etwas zu erschaffen, sehnte sich nach den Düften und Materialien seiner Kunst.
Das intensive Gebet für seine Schwester und die ganze Situation in New York beschäftigte ihn noch immer. Er hoffte, dass durch sein Gebet heute Gnade und Kraft in eine Situation geströmt waren, die nicht in seiner Hand lag. Sofie ging immer noch nicht an ihr Handy. Das sah ihr nicht ähnlich, aber sie hatte Matt. Und vielleicht hatte er ihre Beziehung unterschätzt.
Entschlossen ging er auf Rese zu und nahm ihre Hände. »Morgen gibt es einen geschliffenen Boden. Versprochen.«
* * *
Sofie hielt Carly auf dem Schoß, während der Monitor jeden Herzschlag von Eric zählte. Seine zerquetschten und zertrümmerten Organe gaben eins nach dem anderen auf, und nachdem sie sechs Jahre lang gewartet hatte, würden diese Augenblicke nun alles sein, was sie hatte. Keine Worte, keine Erklärungen, keine Entschuldigungen.
Jetzt kannte sie die schreckliche Wunde, die sie ihren Lieben zugefügt
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