Das Echo der Vergangenheit
oder wer sie vorher gewesen war.
Es war, als wäre sie komplett ausgeleert und neu gefüllt worden. Die Sofie von Eric erhob nie die Stimme und glättete Spannungen mit einem Wort. Diese Sofie klagte nie, widersprach nie. Sie hatte gelernt, seine Wut so umzulenken, dass sie sich wie Dunst auflöste, den nur sie einatmete, sodass die Luft für ihn und sein Kind rein blieb. Und wenn sein Sonnenscheinlächeln sie erwärmte und das Eis schmolz, fühlte sie sich bestätigt wie nie zuvor. Manchmal schien ihr Herz zu groß für ihre Brust, so als könnte sie die Liebe nicht nur dort spüren, sondern müsste sie im ganzen Körper aufbewahren. Und er hatte das gleiche Gefühl verbreitet.
» Ich habe vorher nie gelacht. Ich habe nie gelebt. Du bist mein Leben, Sofie. Der Atem meines Lebens .«
Es war ebenso sein Verlust wie der seiner Tochter, der ihr den Wunsch zu leben geraubt hatte. Kein Wunder, dass Carly nicht ohne ihn sein konnte. Es war nicht überraschend, dass sie die Hand nach ihm ausgestreckt hatte, trotz allem, was sie über ihn erfahren hatte. Konnte sie es dem Kind verübeln, dass es glaubte, Erics Liebe würde alles andere wettmachen?
Spielte es eine Rolle, dass diese Liebe scharfkantig war und anderen Wunden zufügen konnte? Dass ihr Eis einen bis ins Mark frösteln ließ? Das wiederbelebende Wohlwollen hatte jeden Fehler ausgelöscht. Außer den letzten. Sie hatte es nicht zugelassen, als er seinen eisigen Blick gegen Carly gerichtet hatte und ihre Seele durch seine tiefe Enttäuschung hatte erstarren lassen. Sofie war zwischen sie getreten und hatte ihre Loyalität dem Kind gegenüber offenbart. Und danach war nichts mehr gewesen wie vorher.
Sofie band ihre nassen Haare zu einem Pferdeschwanz, zog sich an und verließ das Bad. Sie hatte nicht gehört, dass Matt aufgestanden war, aber er stand mit unrasiertem Kinn und zerzaustem Haar am Fenster. Sweatshirt, Flanellhose, lange Beine und bloße Füße. Selbst seine Zehen waren lang und knochig. Sie nahm seinen Anblick in sich auf, die Kraft und den Trost, den er ausstrahlte.
Er drehte sich um und murmelte: »Morgen.« Seine Stimme klang angenehm schläfrig.
Sie lächelte gequält. »Ich wusste nicht, dass du schon auf bist.«
»Gerade erst.«
Sie trat neben ihn ans Fenster, schob ihre Hand in seine und sah ihm in die Augen, die ihr so viel gesagt hatten, als sie ihm das erste Mal begegnet war. Er war ein wunderbarer Mann, ganz und gar nicht der, den sie befürchtet hatte. Sie wollte, dass er das wusste. Sie hob das Kinn, aber er fuhr sich mit der Hand über seine Wange.
»Ich bin stachelig.«
Es war ihr egal. Sie zog sein Gesicht zu sich und küsste ihn. Es dauerte einige Sekunden, bis seine Arme sich um sie schlossen und ihre Lippen das sagten, was sie anders nicht vermitteln konnte: Sei stark. Vergib mir. Ihr Gemüt erzitterte. Sie löste sich aus seiner Umarmung und berührte ihr Kinn, das von seinen Bartstoppeln gerötet war.
»Tut mir leid.«
Sie sah ihm wieder in die Augen. Das braucht es nicht . »Ich gehe in die Kirche. Bleibst du so lange bei Carly?«
»Lass uns einen Kaffee zusammen trinken.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss los.«
»Es ist doch nicht einmal Sonntag.«
Sie hob die Hand und berührte seine Lippen. »Ich will aber gehen.« Es war nicht das, was sie vorgehabt hatte, aber die Dinge waren außer Kontrolle geraten. Und wer wusste, was Gott vorhatte? Wer konnte das schon wissen? Was sie nicht vergessen hatte, war, dass sie ihm ihr Leben verdankte. Sie hatte versucht, es wegzuwerfen, und er hatte sie wiederhergestellt. Sie hatte mit Schmerzen dort gelegen und gefleht: Warum? Aber jetzt wusste sie es. Es war ihre Aufgabe, immer noch, für Carly zu flehen.
Matt sagte nichts, als sie hinausging. Es gab nichts, was er sagen konnte. Sie ging hinunter und auf die Straße, wie sie es schon so oft getan hatte. An den meisten Morgen war sie mit Lance oder Nonna mitgegangen, denn niemand anders opferte seinen letzten Schlaf, um vor der Schule oder der Arbeit in die Kirche zu gehen.
Sie wünschte, sie könnte etwas von der Vorfreude spüren, von der Hoffnung, die sie in dem morgendlichen Ritual gefunden hatte. Aber heute fühlte sie sich einsam. Hatte Matt recht damit, dass alles darauf hinauslief, dass man das Richtige für die Gesellschaft oder für einzelne Menschen tat? Wenn es keinen Richter außer ihr selbst gab, dann waren ihr Herz und ihr Verstand entschlossen. Sie hatte nicht gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde,
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