Das Echo der Vergangenheit
kaum etwas im Magen. Der Reflex war so oft gekommen, seit Daddy seinen letzten Atemzug getan hatte, dass nichts mehr da war, was sie erbrechen konnte, aber sie wollte. Sie wollte alles von sich geben. Alles. Alle schlechten Gefühle. Den ganzen Schmerz. Die ganze Schuld. Die ganze Reue.
Warum hatte sie nur Grandma angerufen? Daddy hätte keinen Ärger bekommen, wenn sie das nicht getan hätte. Es war Grandmas eigene Schuld, dass sie die Treppe hinuntergefallen war. Sie hätte sich ihm nicht in den Weg stellen sollen. Dumme Frau. Und dummer Matt. Blöder, blöder Matt.
Sofie rieb ihr den Rücken. »Komm, Carly. Du hast nichts mehr im Magen.«
Sie spülte sich den Mund aus. Sofie irrte sich. Der Schmerz war noch da. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihn nicht ausspucken. Er war noch genauso stark wie vorher. Daddy . »Ich will meinen Daddy.«
»Ich weiß.«
Warum sagte sie dann nicht, dass sie ihn auch wollte? Sie sah Sofie an, sah den Schmerz in jedem Schatten. Sie sprach es vielleicht nicht aus, aber sie wollte ihn auch. Denn wie konnten sie nur ohne ihn leben?
Carly schluckte. »Was soll ich denn jetzt ohne ihn machen?« Wer wäre sie überhaupt? Niemand. »Ich bin nichts.« Schlimmer als nichts.
»Nein, Carly. Du bist alles. Und ich liebe dich.«
»Verlass mich nicht.«
»Niemals.«
Aber wie konnte Sofie das sagen, wenn sie beide doch genau wussten, dass Daddys Sturz ihre Schuld war und er nichts Böses getan hatte, außer sie zu sehr zu lieben?
* * *
Matt rieb sich das Gesicht. Er hatte zwei Nächte lang kaum geschlafen; in der ersten Nacht war er wachsam gewesen, in der zweiten hatte er reuevoll wach gelegen und sich gefragt, was er hätte anders machen können. Die Arme weiter ausstrecken. Besser festhalten. Er hatte Eric nicht gekannt und was er von ihm wusste, hatte ihm nicht gefallen. Aber Sofie und Carly, die unter der verzerrten Liebe dieses Mannes gelitten hatten, trauerten jetzt um ihn und das hätte er gern verhindert, wenn es ihm möglich gewesen wäre.
Vielleicht hatte Gott ihm geholfen, Sofie zu helfen, und Carly noch als Zugabe dazugetan. Er hatte nicht gebetet, um Eric zu helfen. Vielleicht, wenn er besser gebetet hätte, wenn er gewusst hätte, wie, oder bereit dazu gewesen wäre – vielleicht wäre die Sache dann anders ausgegangen. Er nickte Rico zu, der auf der Hantelbank seine Crunches machte, dann sank er auf einen Stuhl neben Chaz, dessen Bibel aufgeschlagen auf dem Tisch lag. »Irgendwelche Antworten da drin?«
»Alle.«
Natürlich. Er hätte Chaz bitten sollen zu beten. Vielleicht hatte er das ja sogar getan. Vielleicht war zwei von dreien das Beste, was man bekommen konnte, und dafür war er wirklich dankbar. Er wollte nicht daran denken, wie es Sofie jetzt gehen würde, wenn Carly in die Tiefe gestürzt wäre. Das war die wahre Gebetserhörung, aber darum hatte er nicht gebetet. »Scheint mir ein bisschen undurchsichtig.«
Chaz lehnte sich zurück. »Der Feind liebt Verwirrung und vermischt gerne ein bisschen Wahrheit mit ein bisschen Lüge. Der Schlüssel ist, mit dem Herzen zu suchen. Gedanken lassen sich zu leicht beeinträchtigen.«
»Herzen können auch ziemlich beeinträchtigt sein.«
Chaz spreizte die langen Finger. »Wenn du mit aufrichtigem Herzen suchst, findest du, was du brauchst, Mann.«
»Ich mache mir Sorgen um Sofie.«
Chaz musterte ihn mit durchdringendem Blick. »Wir müssen für Carly kämpfen.«
Carly? Sie würde ihn nicht einmal in ihre Nähe lassen und Sofie würde es deshalb auch nicht. Er war es gewesen, der sie festgehalten hatte. Er hatte die Situation auf dem Dach herausgefordert. Oder hatte sie es getan?
Nein. Eric war für seinen Tod selbst verantwortlich. Er war bereit gewesen, auch sie mit in den Tod zu reißen und ihnen Schmerzen zuzufügen, weil sie sich seiner Kontrolle entzogen. Matt ballte die Hände zu Fäusten. »Er kontrolliert sie immer noch. Aber sie sehen es nicht. Oder wollen es nicht sehen. Und deshalb bin ich der Böse.«
»Das stinkt echt zum Himmel, Mann«, rief Rico von seiner Bank aus.
Chaz sagte: »Ich verspreche dir: Wenn du suchst, findest du deine Antworten.«
»Ich bin nicht mal sicher, ob ich die Fragen kenne.« Er streckte sich. »Aber ich weiß, dass meine Anwesenheit hier die Sache verkompliziert.«
»Die Kleine braucht jemanden, auf den sie ihre Wut richten kann.«
»Ich bin eine ziemlich große Zielscheibe.«
»Aber sie gibt sich selbst die Schuld. Lieber wäre es ihr, wenn du schuld
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