Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
besänftigen.
Doch es ist schon zu weit fortgeschritten. Das Verwandeln hat sich derart verselbstständigt, dass es nicht mehr seiner Kontrolle untersteht. Er schafft es kaum den Korridor entlang, als er sich in das Monster verwandelt, das ich schon kenne.
Das Monster, auf das ich gehofft hatte.
Ich schaue konzentriert auf seinen Rücken und kneife die Augen zusammen, bis ich mich in seine Haut projiziert habe. Dann vollführe ich den Seelensprung, wie ihn mich Leftfoot gelehrt hat. Tauche in Cades Abgründe und erforsche jede dunkle Facette, jeden in Finsternis getauchten Winkel. Bis ich sprachlos bin angesichts des tristen und hoffnungslosen Zustands seiner Seele.
Gesteuert von seinen archaischsten, ungezügeltsten Trieben, zu morden und zu metzeln, zu erobern und zu ersticken, wirkt er auf den ersten Blick animalisch – wie ein ganz alltägliches Raubtier. Doch ein gründlicherer Blick enthüllt ein rasendes Verlangen nach persönlicher Erhöhung und Selbstverherrlichung, das ihn gefährlich menschlich macht.
Ich ziehe meinen Besuch in die Länge – dehne und recke mich und mache es mir in seiner Haut bequem. Erkunde die Rohheit seiner Wut, den Kern seiner Bösartigkeit, die nackte Brutalität, die alle seine Handlungen antreibt. Und trotz meines anfänglichen Widerwillens, trotz meines absoluten Grauens angesichts all dessen, was ich sehe, kümmere ich mich darum, mir ein ordentliches Stück dieser Dunkelheit anzueignen. Ich muss es untersuchen – es begreifen, um es besiegen zu können.
Mein Körper wehrt sich dagegen, will es abwehren und unsere Verbindung ein für alle Mal kappen. Doch meine Entschlossenheit, mir die Macht meines Bruders einzuverleiben, mich von seiner Niedertracht durchströmen zu lassen, erringt die Oberhand. Und je länger ich bleibe, desto mehr kann ich mir aneignen, bis der Strom seiner Kraft eine Wahrheit enthüllt, über die ich zuvor nur spekulieren konnte.
Genau wie er meine Antriebskraft, meine Liebe zu Daire, anzapfen kann, kann ich das unverfälschte Böse anzapfen. Und genau das tue ich. Ich sauge auf, so viel ich kann, wobei ich genau weiß, dass die Macht, die ich raube, Macht ist, die mein Bruder nicht mehr gegen Daire einsetzen kann.
Mein Körper windet sich in Zuckungen. Das Blut rast durch meine Adern, verbrennt und kocht mein Inneres und hinterlässt eine grässliche Pockennarbe auf meiner Haut. Der Schmerz ist so entsetzlich, dass ich nur stolpernd vorwärtskomme und mir den Bauch halten muss. Keuchend und schlotternd, außerstande, meinen hechelnden Atem auf Normalmaß zu bringen, schließe ich die Augen und warte, dass es vorbeigeht. Ich muss es bis zum bitteren Ende durchstehen. Keinesfalls werde ich aufgeben. Jetzt, wo mich die Kraft meines Bruders durchströmt, hat sich mein ursprünglicher Plan geändert. Statt ihm die Kraft zu rauben, um ihn zu schwächen, werde ich das, was ich ihm genommen habe, benutzen, um ihn zu zerstören.
Leftfoots Warnung hallt aus der Ferne in meinem Kopf wider: Du darfst die Gabe nie missbrauchen. Niemals. Ich kann das gar nicht genug betonen. Du benutzt die Gabe ausschließlich dann, wenn du der festen Überzeugung bist, dass es sein muss. Zuerst musst du alle anderen Optionen ausschöpfen. Es darf nur ein letzter Ausweg sein.
Das hier ist ein Notfall. Der einzige Ausweg, der mir bleibt.
Der einzige Weg, um Cade zu besiegen, besteht darin, sich ein Stück von Cade anzueignen – Cade zu werden –, wenn auch nur vorübergehend.
Es ist wie die Lektion, die Leftfoot unwissentlich mit mir geteilt hat: Manchmal musst du dich in die Finsternis wagen, um das Licht zutage zu fördern.
Und genau das tue ich. Es ist der letzte Anstoß für die Entscheidung, die ich in der Schwitzhütte getroffen habe. Mich ins Dunkel zu wagen, um Daire zu retten – das Licht meines Lebens.
Es ist ein Risiko.
Ein Risiko, bei dem meine eigene Seele auf dem Spiel steht.
Doch kein Preis ist zu hoch, um Daire zu retten.
Außerdem habe ich nicht die Absicht zu verlieren.
Sobald es vollbracht ist, stoße ich den Schatten meines Bruders ab und kehre zu mir selbst zurück.
Nur besser.
Reiner.
Denn dann werde ich mich dem schlimmsten aller Männer gestellt und überlebt haben, um davon zu künden.
Ich hebe den Kopf und verfolge, wie mein Bruder auf das Portal zuhält. Der Anblick lässt mein Blut abkühlen und meinen Puls gemächlicher gehen, und sowie er durch die Wand bricht, ist unsere Verbindung gekappt.
Abgesehen von dem Teil von ihm, der
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