Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
Augen weiten sich, als er mich erkennt. »Ach, hallo«, ruft er mir fröhlich zu. »Hast du deinen Bus verpasst ? Frische Postkarten sind übrigens gerade erst eingetroffen – gleich da drüben.« Er zeigt auf den Ständer mit den deprimierenden Bildpostkarten von diesem elenden Kaff. Ihm ist überhaupt nicht bewusst, dass er mich soeben an einen der schlimmsten Tage in meinem Leben erinnert hat. An den Tag, an dem ich nur ein paar Schritte von hier fast gestorben wäre.
Trotzdem, so schlimm es auch war, der gestrige Tag war noch schlimmer. Viel schlimmer. Durch Palomas Beistand ist das Bein, das ich mir vor dem Rabbit Hole gebrochen habe, binnen weniger Wochen geheilt. Wenn es heute nicht läuft wie geplant, wird sich mein gebrochenes Herz vielleicht nie mehr erholen.
Ich lächele ansatzweise und sage mir, dass er es gut meint. Nicht jeder in dieser Stadt ist ein Richter. Dann gehe ich in den hinteren Raum, wo der Kaffee ausgeschenkt wird. Dabei hoffe ich, einen dieser runden Tische mit den leuchtend pinkfarbenen Tischdecken zu ergattern und als zeitweiligen Zufluchtsort benutzen zu können, bis es an der Zeit ist, meinen Plan umzusetzen.
Doch sowie ich Chay dort sitzen sehe, über einen Kaffee und ein Plunderteilchen gebeugt, während er die Zeitung liest, trete ich schnurstracks den Rückzug an. Ich komme allerdings nicht besonders weit, da er sich bereits vom Tisch erhebt und mir nachruft, was mir keine andere Wahl lässt, als ihn zu begrüßen.
»Hey«, sage ich und stelle meine Tasche auf den Stuhl ihm gegenüber.
Er schiebt mir seinen Teller hin und bietet mir die Hälfte seines Plunderteilchens an. Doch so verlockend es auch aussieht mit seiner flüssigen Cremefüllung und den gezuckerten Früchten – ich habe Paloma versprochen, die Finger von Junkfood zu lassen, und dieses Versprechen gedenke ich zu halten.
»Nein danke. Ich lebe immer noch abstinent.« Ich schiebe ihm das Gebäckstück wieder hinüber. »Wenn es nach Paloma geht, bleibe ich auf Dauer abstinent. Aber keine Sorge, ich verrate ihr nicht, wie du deine Vormittage verbringst.«
Er lacht über meine Worte, wobei sich um seine Augen Fältchen bilden, die sich fächerförmig ausbreiten. Seine gute Laune ist dermaßen ansteckend, dass ich einfach mitlachen muss, verblüfft darüber, wie sich dadurch schlagartig meine Stimmung verbessert.
»Wie wär’s, wenn wir ein Abkommen treffen ?«, schlägt er vor. »Du erzählst Paloma nicht, dass ich trotz all ihrer Warnungen über die Übel von Zucker immer noch meinem Hang zu Süßem fröne, und ich verrate ihr nicht, dass du die Schule schwänzt.« Als sein Blick meinem begegnet, liegt allerdings keinerlei Heiterkeit mehr darin. »Das sehe ich doch richtig, oder ?«
Ich ziehe eine Braue hoch und zucke die Achseln. Mein Mitteilungsbedürfnis ist versiegt. Ich stehe vom Tisch auf und hole mir die Reste verbrannten Kaffees aus einer schon fast leeren Kanne. Eines der besten Beispiele für unlautere Werbung, die ich je gesehen habe. Frisch gebrüht , da lache ich ja.
Ich nehme vorsichtig einen ersten Schluck.
»Und falls dem so ist«, fährt Chay fort, »warum bist du dann hierhergekommen ?«
»Zu dieser Tageszeit gibt es nicht so rasend viele Alternativen. Und zu anderen Tageszeiten eigentlich auch nicht. Schließlich befinden wir uns in Enchantment. Nicht direkt die Vergnügungshauptstadt der Welt.« Ich gebe zwei Tütchen Kaffeeweißer in meinen Becher und hoffe, das überdeckt den schlimmsten Beigeschmack. Es ist eine Art Milch in Pulverform, keine Flüssigmilch, und damit schon wieder etwas, was Paloma keinesfalls gutheißen würde. Doch ich habe nichts anderes zur Verfügung, und manchmal muss man eben Kompromisse schließen.
»Ich weiß nicht«, sagt Chay. »Ich könnte mir hundert andere Beschäftigungen für dich vorstellen.«
»Nenn eine.« Ich tauche eines dieser dünnen Plastikstäbchen in meinen Kaffee und rühre heftig um.
»Kachina liebt es, frühmorgens auszureiten.« Chay mustert mich eindringlich.
»Ich auch.« Ich nehme noch einen Schluck, der zwar besser schmeckt als der erste, aber wirklich nur ein bisschen. »Irgendwie hatte ich wohl das Bedürfnis, unter Leute zu gehen statt in die Natur. Und welcher Ort wäre besser als dieser hier ?«
Chay hält inne, wobei seine Gabel mit einem Bissen von seinem Plunderteilchen zwischen Teller und Mund hängen bleibt. »Und was ist mit der Schule ? Da sind jede Menge Leute. Sogar Leute deines Alters.« Er sieht mir direkt in die
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