Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
mehr begangen. Aber nachdem ich dich an jenem Morgen mit Daire allein gelassen habe, direkt nachdem Paloma ihre Seele wiederbekommen hatte, habe ich mein eigenes kleines Ritual abgehalten.«
Ich beuge mich näher zu ihr und versuche zu verstehen, was sie meint.
»Ich habe Jolon angerufen.« Sie hebt das Kinn. »Die ganzen Jahre über habe ich stets seine Gegenwart gespürt. Sein Geist ist überall, genau wie ich es dich gelehrt habe …« Ihre Stimme wird leiser, während sie abwesend mit dem Daumen über den in einen Türkis eingravierten Kolibri reibt, den sie am Zeigefinger trägt. »Ich habe ihn um seinen Schutz angefleht, und seitdem habe ich das Gefühl, dass die Kraft seines Löwen auf uns aufpasst. Aber, Dace, täusch dich nicht – sie existieren nur im Geiste. Du und Daire seid unsere letzte reale Verteidigung gegen ihn und die anderen Richters. Es wäre sinnlos, das zu leugnen.«
Sie verstummt und überlässt es mir, aus ihren Worten schlau zu werden. Und obwohl das überhaupt nicht das war, was ich zu hören erwartet hatte, bleibe ich vor allem daran hängen, dass Jolons Löwe uns leitet. Angesichts der Umstände kann das nichts Gutes bedeuten.
»Die Unterwelt ist korrumpiert«, sage ich. »Daire und ich waren gestern dort. Wir waren fast jeden Tag dort – oder vielmehr Daire war dort.« Ich zupfe an dem unprofessionellen Verband an meinem Arm, der an den Rändern bereits ausfranst und in der Mitte rot von meinem Blut ist, und bin mir nur allzu bewusst, dass ich ihren Namen zweimal ausgesprochen habe.
Es ist ein Zeichen dafür, dass man verliebt ist. So zu tun, als könnte allein die Erwähnung einer Person deren Anwesenheit heraufbeschwören. Obwohl es einzig und allein das atemberaubende Bild heraufbeschwört, wie sie unter mir liegt, mit geröteten Wangen, rosigen, einladenden Lippen und grün glitzernden Augen, während ich unter dem Druck meiner Finger ihre zarte Haut spüre …
Ich schüttele den Gedanken ab. Gelobe, ihren Namen so wenig wie möglich zu verwenden. Schwer abzuschätzen, wie viel dieser kleine Tagtraum mich gekostet hat.
»Die Unterwelt ist verseucht«, fahre ich fort. »Und die Geisttiere sind auch infiziert. Pferd ist unbrauchbar. Es führt mich nicht mehr. Sie sind allesamt unbrauchbar, verstört, unfähig.«
Das genügt Chepi, um den Kolibriring, den sie trägt, seit ich denken kann, abzulegen. Unsanft wirft sie ihn auf den Tisch, während Leftfoot ein Zeichen über den Wildlederbeutel schlägt, den er um den Hals trägt. Dabei muss ich erneut an Daire denken.
Sie trägt ihren Beutel immer noch. Vielleicht sollte ich es ihr sagen – sie warnen, dass er eine Gefahr für sie darstellt.
Kopfschüttelnd reibe ich mir das Gesicht. Ich muss damit aufhören. Aufhören, mir Ausreden auszudenken, damit ich an sie denken und sie sehen darf. Paloma kümmert sich um sie. Und Chay auch, nach dem, was ich vorher beobachtet habe. Sie ist in guten Händen.
Ich muss mich darauf konzentrieren, sie in anderen Belangen zu beschützen.
In wichtigeren Belangen.
In Belangen, die wirklich eine Rolle spielen.
Ich schaue auf Chepis Ring – ein Relikt aus meiner Kindheit, an dessen Anblick ich gewöhnt bin, nur dass er jetzt anders aussieht. Als enthielte er einen ganzen Schatz von Geheimnissen, die ich nicht einmal ansatzweise begreife. Mein Kopf ist so voll, meine Gedanken sind so widersprüchlich, dass ich mir selbst nur halb zuhöre, als ich sage: »Die Tiere sind dermaßen korrumpiert, dass man sich nicht mehr auf sie verlassen kann.«
Leftfoot steht abrupt vom Tisch auf. »Dann müssen wir uns eben auf uns selbst verlassen.« Er geht zur Tür und bedeutet mir, ihm zu folgen.
Sechzehn
Daire
A l s die Fahrt sich immer länger hinzieht, als Chay einen unbekannte n Feldweg nach dem anderen entlangtuckert und immer noch undurchsichtigere Abzweigungen nimmt, kann ich nicht mehr an mich halten. »Hast du nicht gesagt, Paloma würde uns erwarten ?«
Er sieht mich geduldig an. »Tut sie.«
»Und wo genau wartet sie ? Denn du bringst mich ja offenbar nicht nach Hause.«
»Wir fahren zu den Fällen«, erklärt er, als wäre das vollkommen einleuchtend, obwohl es mir gar nichts sagt.
»Kannst du mir vielleicht ein bisschen auf die Sprünge helfen ?« Ich versuche, meine wachsende Unruhe ebenso zu dämpfen wie das nervöse Frösteln, das mich befallen hat. Die Situation erinnert mich massiv an den Verlauf meiner Visionssuche. Und obwohl ich sie durchgestanden habe und erneuert daraus
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