Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
Becher frischen Piñon-Kaffee gebeugt am Küchentisch, mitten in einem lebhaften Gespräch. »… einfach verschwunden«, sagt er gerade. »Aber wir wissen, dass das nicht wahr ist.«
Er wirft Chepi einen vielsagenden Blick zu, woraufhin sie so grimmig das Gesicht verzieht, wie ich es nicht oft zu sehen bekomme. Die beiden sind derart in ihre Gedanken vertieft, dass es eine Weile dauert, bis sie mich bemerken.
»Dace !« Meine Mutter springt auf und macht ein Gesicht, das ich nicht entschlüsseln kann. Ist es schlechtes Gewissen – Erstaunen – Vorwurf ? Ehe ich es herausfinde, eilt sie auf mich zu, schließt mich in die Arme und streicht mir übers Haar.
Ich erwidere die Umarmung. Drücke sie fest an mich, dann mache ich mich sachte los. Ich blicke zwischen den beiden hin und her und sage: »Ich brauche Antworten.«
»Warum bist du nicht in der Schule ?« Chepi sieht mich aus ihren großen braunen Augen streng an. Offenbar möchte sie ein Gespräch abwenden, das ihr unangenehm ist. »Die Winterferien fangen doch erst nächste Woche an.«
»Mutter, bitte.« Meine Stimme klingt so angestrengt, wie mir zumute ist, während ich mich auf den freien Stuhl zwischen ihnen setze, nicht bereit, dieses spezielle Spielchen mitzuspielen. »Es ist an der Zeit, ehrlich zu mir zu sein und mir die Wahrheit zu sagen.«
Leftfoot murmelt vor sich hin, dass er jetzt gehen müsse. Doch noch bevor er recht weit gekommen ist, halte ich ihn auf. »Zufällig brauche ich dich auch hier.«
Er sieht mich scharf an, nimmt wieder Platz und wendet sich an meine Mutter. »Chepi, es ist Zeit. Du kannst es nicht ewig hinauszögern.«
Chepi knetet nervös die Tischplatte. Man sieht ihren Händen an, dass sie jahrelang Schmuck gemacht hat – die Stücke aus Türkisen und Silber, die einst bei Galerien und Touristen zugleich begehrt waren. Doch im Lauf der letzten zehn Jahre haben die Galerien allesamt den Betrieb eingestellt, und die Touristen machen einen Bogen um Enchantment. Seitdem ist Chepi gezwungen, regelmäßig nach Santa Fe zu fahren, wo sie ihre Waren auf der Plaza anbietet, um uns so über Wasser zu halten.
»Ich weiß, was dir am Tag der Toten zugestoßen ist«, beginne ich, um ihr ein erneutes Durchleben dieser Hölle zu ersparen. »Ich weiß, was Leandro getan hat. Ich weiß, was ich bin, was Cade ist und wie wir gezeugt wurden. Ich weiß, dass du in keiner Weise verantwortlich für das bist, was dir zugestoßen ist. Ich weiß, wie schwer es für dich gewesen sein muss, mich in den letzten sechzehn Jahren ständig vor Augen zu haben …«
»Nein !« Ihre Hand greift nach meiner und drückt sie mit erstaunlicher Kraft, während sie mir heftig widerspricht. »Glaub das nicht – so war es überhaupt nicht !«
Ich befreie mich aus ihrem Griff und kippele mit dem Stuhl nach hinten, bis er nur noch auf zwei Beinen steht. Eine Gewohnheit von mir, die sie in meiner Kindheit stets mit einem missbilligenden Blick und einem scharfen Tadel quittierte, die heute jedoch unkommentiert bleibt.
»Du bist mein Sohn. Ich habe kein einziges Mal bereut, dich geboren zu haben. Du warst dazu ausersehen, zu mir zu kommen.« Nervös bewegt sie die Finger.
Ausersehen. Ja. Ich starre auf meine Hände und überlege, was ich als Nächstes sagen soll.
Meine Gedanken werden durch Leftfoot unterbrochen. »Dace, es tut mir leid«, sagt er. »Ich wollte es dir schon so oft sagen, aber …«
»Aber ich habe es nicht erlaubt«, unterbricht ihn Chepi. »Ich dachte, indem ich es ignoriere, könnte ich es vermeiden. Dumm von mir, ich weiß.« Sie schüttelt den Kopf. »Aber als ich dich mit dem Mädchen gesehen habe …«
»Daire. Das Mädchen heißt Daire.« Mein Magen krampft sich beklommen zusammen, als ein Bild von ihr in meinem Kopf aufblitzt.
»Ja.« Chepi nickt. »Als ich dich mit ihr gesehen habe, wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Trotzdem schien irgendwie kein Augenblick dafür geeignet zu sein, um es dir zu sagen. Aber du sollst wissen, dass ich dich niemals absichtlich belogen oder getäuscht habe. Ich wollte dich nur vor der Art von quälenden Gedanken schützen, die du jetzt hast.«
Mein Blick begegnet dem meiner Mutter, und auf einmal ist all der Ärger, in den ich mich im Lauf einer langen, qualvollen Nacht hineingesteigert habe, wie weggeblasen. Sie hat mehr gelitten, als einem Menschen eigentlich zumutbar ist. Es gibt keinen Grund, ihr vorzuwerfen, dass sie ihre Geheimnisse für sich
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