Das Echo dunkler Tage
habe vollstes Vertrauen in dich.«
Als sie auflegte, konnte sie sein Grinsen fast vor sich sehen.
Um neun Uhr brachte Iriarte seine Kinder ins Bett. Für ihn war es der schönste Moment des Tages: Der Druck fiel von ihm ab, er konnte sie in den Arm nehmen, sich ein letztes Mal breitschlagen lassen, das Licht noch nicht auszumachen, ihnen die Geschichte erzählen, die sie schon tausendmal gehört hatten. Wie schnell sie wuchsen, wunderte er sich jedes Mal. Als er sich endlich losreißen konnte, ging er ins Schlafzimmer, wo seine Frau Nachrichten schaute. Seit sie die Kinder hatten, gingen sie gegen neun ins Bett, auch wenn sie noch eine Weile fernsahen und plauderten. Er zog sich aus und legte sich neben seine Frau, die den Apparat leiser stellte.
»Sind sie eingeschlafen?«
»Ich glaube schon«, sagte er und schloss die Augen. Sie kannte diese Geste, wusste, dass nicht die Müdigkeit der Grund war.
»Du hast doch was, oder?«, fragte sie und strich ihm mit einem Finger über die Stirn.
»Stimmt.«
Es hatte keinen Zweck, es zu leugnen, dafür kannte sie ihn zu gut.
»Raus mit der Sprache!«
»Ich weiß nicht, was es ist. Irgendwas stimmt nicht, aber ich kann nicht sagen, was.«
»Hat es mit dieser hübschen Kommissarin zu tun?«, fragte sie mit ironischem Unterton.
»Könnte sein, zumindest teilweise. Sie hat eine komische Art, aber das muss nicht unbedingt schlecht sein.«
»Macht sie ihren Job gut?«
»Ja, das schon. Aber sie hat auch, wie soll ich sagen, eine dunkle Seite. Vielleicht ist es das, was mich so beunruhigt.«
»Jeder hat eine dunkle Seite. Du kennst sie doch noch nicht lange. Findest du es nicht ein bisschen verfrüht, ein Urteil zu fällen?«
»Darum geht’s nicht. Es ist eher ein Bauchgefühl. Du weißt ja, dass ich nicht zu vorschnellen Urteilen neige. Andererseits schult mein Beruf die Aufmerksamkeit, und ich glaube, dass wir manche Warnsignale nicht beachten, nur weil es keinen rationalen Grund dafür zu geben scheint. Aber oft zeigt uns die Zeit, dass wir richtiglagen, nur ist es dann zu spät, und wir bedauern, dass wir nicht unserem Bauchgefühl gefolgt sind, unserem ersten Eindruck oder Instinkt oder wie immer man es nennen mag.«
»Glaubst du, sie lügt?«
»Ich glaube, sie verheimlicht etwas.«
»Trotzdem vertraust du ihr?«
»Ja.«
»Vielleicht ist sie nur seelisch aus dem Gleichgewicht. Menschen, die nicht lieben oder nicht geliebt werden oder private Probleme haben, strahlen manchmal so was aus.«
»Scheint mir in dem Fall nicht so zu sein. Ihr Mann ist ein berühmter Bildhauer aus den USA. Er ist extra ihretwegen nach Elizondo gekommen, um sie zu unterstützen. Ich habe sie mit ihm telefonieren hören und keine Spannung wahrgenommen. Außerdem wohnt sie bei ihrer Tante, wo auch noch eine Schwester lebt. Was die Familie angeht, scheint alles in Ordnung zu sein.«
»Haben sie Kinder?«
»Nein.«
»Das könnte es sein«, sagte sie, ließ sich aufs Kissen sinken und machte die Nachttischlampe aus. »Einen unerfüllten Kinderwunsch zu haben kann zu einer großen Last werden, manchmal auch unbewusst. Ich liebe dich, aber wenn ich keine Kinder hätte, würde mir etwas fehlen.« Sie schloss die Augen. »Auch wenn es manchmal ganz schön anstrengend ist.«
42
N ach einer langen heißen Dusche fühlte sich Amaia besser, aber ihre Muskulatur war angespannt wie die eines Sportlers vor dem Wettkampf. Die komplizierte Maschinerie der Intuition war endlich in Gang gekommen, die Rädchen begannen ineinanderzugreifen. Langsam ergab alles einen Sinn, lichtete sich der Nebel, der ihr die Sicht genommen hatte. Die Stimme von Special Agent Dupree ertönte wieder in ihrem Kopf: Was blockiert dich?
Wieder einmal hatte dieser scharfsinnige Mensch von der anderen Seite des Atlantiks aus genau ins Schwarze getroffen.
Was sie blockierte, war nicht verschwunden, ganz im Gegenteil. Tief im Innern wusste sie, dass das, was neulich Nacht an ihrem Bett gestanden hatte, nur einen Schritt zurückgetreten war und sich im Dunkeln versteckte. Wie ein Vampir war es vor dem Sonnenlicht zurückgewichen, das durch den Spalt, der sich am Vorabend aufgetan hatte, eingedrungen war. Ein Spalt, den sie nicht weiter hatte öffnen wollen, vielleicht weil sie hin- und hergerissen war zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und der Angst davor. Ein kleiner Spalt im Gefängnis ihrer Angst, das sie um sich herum errichtet hatte, um sich vor dem Monster zu schützen, das sie jede Nacht heimsuchte. Eines wusste sie
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