Das Echo dunkler Tage
aufging und Leute herauskamen, schallte Musik durch die ganze Straße. Amaia hatte Glück und fand gleich einen Parkplatz, weil gerade zwei lärmende Paare aufbrachen.
Alfonso Álvarez de Toledo sah aus, als lebte er das ganze Jahr über am Meer. Die vielen kleinen Falten in seinem Gesicht, die nicht vom Alter, sondern von exzessivem Sonnenbaden herrührten, schienen ihn nicht zu stören. Er hatte vor Jahren mit einer Mystery-Saga große Erfolge gefeiert und sich daraufhin frühpensionieren lassen.
»Inspectora Salazar, schön, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Und nur Gutes.«
Er führte sie einen breiten Flur entlang ins Wohnzimmer, in dem eine rund sechzig Jahre alte Frau fernsah.
»Lassen Sie sich von meiner Frau nicht stören. Ich habe praktisch alle meine Fälle mit ihr besprochen und kann Ihnen versichern, dass an ihr eine große Polizistin verloren gegangen ist.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, sagte Amaia und lächelte die Frau des Exkommissars an, die ihr kurz die Hand reichte und sich dann wieder auf die Herzschmerzsendung konzentrierte, die sich offenbar bis spät in die Nacht hinzog.
»Sie wollen mit mir über den Fall Teresa Klas sprechen?«
»Eigentlich interessieren mich andere Verbrechen an jungen Frauen mehr, weil Teresa Klas vergewaltigt wurde und das nicht zu meinem Täterprofil passt. Überhaupt spielt in meinem Fall Sexualität keine direkte Rolle.«
»Lassen Sie sich nicht täuschen, Verehrteste! In dem Bericht steht, dass dem Mädchen Gewalt angetan wurde, das heißt aber nicht, dass man sie vergewaltigt hat.«
»Nein?«
»Wissen Sie, damals gab es kaum Frauen bei der Mordkommission, und die Beamten hatten nur eine rudimentäre Ausbildung. Auch die Kriminaltechnik steckte noch in den Kinderschuhen. Wenn da Sperma war, war da Sperma, Proben wurden keine entnommen, wozu auch, es gab ja noch keine DNA-Tests. Wir sprechen hier vom Beginn der Neunzigerjahre. Die allgemeine Einstellung zur Sexualität war noch sehr schamgeprägt, um nicht zu sagen bigott. Wurde damals ein totes Mädchen mit runtergezogenem Slip entdeckt, ging man davon aus, dass sie vergewaltigt wurde. Dass der Geschlechtsverkehr in gegenseitigem Einverständnis stattgefunden haben könnte, war undenkbar, es sei denn, es handelte sich um eine Prostituierte.«
»Wurde Teresa Klas nun vergewaltigt oder nicht?«
»Wir wissen es nicht, aber allein die Tatsache, dass sie nackt war, deutete auf ein sexuelles Motiv hin. Außerdem waren ihre Augen weit aufgerissen. Und die Schnur um ihren Hals stammte von dem Bauernhof, auf dem sie arbeitete. Sie können sich ja vorstellen, was das für ein Anblick war.«
»Waren ihre Arme und Hände irgendwie besonders angeordnet?«
»Daran erinnere ich mich nicht, nur dass ihre Kleidung überall verstreut war, wie achtlos weggeworfen, ebenso der Inhalt ihrer Handtasche, Kleingeld, Bonbons … Einige Bonbons lagen sogar auf der Leiche.«
Amaia verspürte einen Brechreiz, der ihr den Magen zusammenschnürte.
»Es lagen Bonbons auf ihr?«
»Richtig. Ihre Eltern haben ausgesagt, dass sie eine Naschkatze war.«
»Wissen Sie noch, wo genau die Bonbons lagen?«
Alfonso holte tief Luft und hielt sie einige Sekunden an, bevor er wieder ausatmete. Offenbar fiel es ihm schwer, sich den Anblick von damals ins Gedächtnis zu rufen.
»Die meisten Bonbons lagen zwischen ihren Beinen. Eines lag sogar auf dem Unterleib, knapp über der Scheide. Sagt Ihnen das etwas? Wir nahmen damals an, die Bonbons wären ihr aus der Hosentasche gefallen, als der Täter nach Geld suchte. Es war Monatsanfang, und damals wurde der Lohn bar ausbezahlt.«
Plötzlich hatte sie eine Eingebung.
»Welcher Monat war das?«
»Februar. Daran erinnere ich mich noch gut, weil kurz darauf meine Tochter Sofia zur Welt kam.«
»Ist Ihnen sonst noch etwas Besonderes aufgefallen?«
»Ja, da war noch ein merkwürdiges Detail, das mir später bei anderen Fälle wiederbegegnet ist. Erinnerst du dich, Matilde, die toten Mädchen mit den gescheitelten Haaren?«
Sie nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
»Etwa sechs Monate nach dem Mord an Teresa Klas wurde eine Deutsche tot aufgefunden, auf einem Campingplatz in Vera de Bidasoa. Es gab Indizien, die auf eine Vergewaltigung hindeuteten. Offenbar geriet die Sache außer Kontrolle, und der Täter hat sie erwürgt, mit einer Schnur vom Campingplatz. Und hinterher schnitt er ihr die Kleidung auf, um sie nackt zu sehen. Verhaftet wurde ein perverser
Weitere Kostenlose Bücher