Das Echo dunkler Tage
hätte sie einen besonderen Radar.
Drei Tassen Kaffee später fühlte sie sich immer noch nicht besser. Sie war zum Kommissariat gefahren, saß an Iriartes Schreibtisch und betrachtete voller Sympathie die Zeugnisse aus seinem Leben: die Fotos der blonden Kinder und der jungen Frau, die Heiligenkalender und die Topfpflanzen am Fenster, die sogar tönerne Untersetzer hatten, um das überschüssige Wasser aufzufangen. Die Tür ging auf.
»Darf ich, Chefin? Jonan hat mir gesagt, dass Sie mich sehen wollen.«
»Kommen Sie rein, Montes. Setzen Sie sich. Und nennen Sie mich nicht Chefin!«
Er nahm ihr gegenüber Platz, verzog missmutig das Gesicht und sah sie an.
»Montes, ich bin enttäuscht von Ihnen, weil Sie nicht bei der Autopsie erschienen sind. Und dann musste ich auch noch von einem Dritten erfahren, dass Sie stattdessen bei einem Abendessen waren. Sie hätten mir zumindest die Peinlichkeit ersparen können, die ganze Nacht herumfragen zu müssen, wo Sie stecken.«
Montes sah sie ungerührt an.
»Fermín«, fuhr sie etwas sanfter fort, »wir sind ein Team. Ich muss mich darauf verlassen können, dass jeder zu jeder Zeit auf seinem Posten ist. Hätten Sie mich gefragt, hätte ich Sie gehen lassen. Ein Anruf hätte genügt. Oder wenn Sie wenigstens Jonan Bescheid gesagt hätten. Aber einfach so abzuhauen, das geht nicht. Drei Mädchen sind ermordet worden, da brauche ich Sie an meiner Seite. Hoffentlich hat es sich wenigstens gelohnt.«
Sie lächelte und sah ihn schweigend an, wartete auf eine Reaktion, aber Montes saß nur da und starrte durch sie hindurch. Die kindliche Grimasse war verschwunden, stattdessen spiegelte sich nun Verachtung in seinem Gesicht.
»Montes«, sagte er plötzlich. »Für Sie immer noch Inspector Montes. Sie mögen die Ermittlungen leiten, aber wir haben den gleichen Dienstgrad, vergessen Sie das nicht! Jonan hingegen hat einen niedrigeren Dienstgrad, also bin ich ihm auch keine Rechenschaft schuldig. Ich habe Subinspector Zabalza informiert, damit war meiner Pflicht Genüge getan.« Empört kniff er die Augen zusammen. »Sie hätten mir auch gar nicht verbieten können, zu dem Abendessen zu fahren, denn das steht Ihnen nicht zu, auch wenn Sie sich das in letzter Zeit einbilden. Ich war schon bei der Mordkommission, als Sie gerade mal Ihre Ausbildung angefangen haben, Chefin. Sie regen sich doch nur deshalb auf, weil Sie vor Zabalza blöd dagestanden haben.« Inzwischen lümmelte er regelrecht auf seinem Stuhl und sah ihr herausfordernd in die Augen.
Amaia verbarg ihre Erschütterung.
»Wenn hier jemand blöd dasteht, dann Sie, weil Sie nämlich Ihren Job nicht gut machen. Verdammt, wir haben gerade das dritte Opfer eines Serienmörders entdeckt und noch nichts in der Hand! Und Sie haben nichts Besseres zu tun, als zu einem Abendessen zu fahren. Ich glaube, Sie sind gekränkt, weil der Fall mir übertragen wurde, aber begreifen Sie endlich, dass das jetzt keine Rolle spielen darf, es geht jetzt einzig und allein darum, diesen Fall zu lösen, und zwar so schnell wie möglich.«
Sie wollte Montes nicht zu sehr brüskieren und schlug einen sanfteren Ton an: »Ich dachte, wir wären Freunde, Fermín. Ich hatte gehofft, dass auch Sie mich schätzen und dass ich mich voll und ganz auf Sie verlassen kann.«
»Dann hoffen Sie schön weiter«, murmelte er.
»Haben Sie mir sonst nichts mehr zu sagen?«
Er schwieg.
»Na gut, wie Sie wollen. Wir sehen uns nachher bei der Besprechung.«
Wieder die Gesichter der toten Mädchen, die Augen, die ins Leere starrten, verschleiert vom Tau des Todes. Und daneben, wie um den großen Verlust noch zu betonen, Hochglanzfotos in Farbe: Carla, wie sie kokett lächelnd neben einem Auto stand, das wahrscheinlich ihrem Freund gehörte; Ainhoa, wie sie ein wenige Tage altes Schaf in den Armen hielt; Anne, umringt von ihrer Schultheatergruppe. Eine Plastiktüte mit Tüchern, mit denen aller Wahrscheinlichkeit das Make-up von Annes Gesicht entfernt worden war; noch eine Tüte mit Tüchern, die man bei der Leiche von Ainhoa gefunden hatte. Anfangs hatte man ihnen keine Beachtung geschenkt, hatte gedacht, sie wären von dem Pärchentreff an der Straße heruntergeweht worden.
»Sie hatten recht, Chefin. Die Tücher lagen ein paar Meter weiter unten am Fluss, in einer Felsspalte. Sind rosafarbene und schwarze Flecken drauf. Annes Freundinnen haben ausgesagt, dass sie sich geschminkt hat. Ich habe hier auch ihren Lippenstift, der war in der Tasche, damit
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