Das Echo dunkler Tage
Sätze unterstrichen waren.
»Miguel Angel de Andrés, der wegen des Verdachts, Carla Huarte ermordet zu haben, einen Monat im Gefängnis von Pamplona gesessen hat, behauptet, dass die Polizei einen Zusammenhang vermutet zwischen dem Mord an Carla und dem an Ainhoa Elizasu. Der Mörder reißt den Mädchen die Kleidung vom Leib und hinterlässt auf den Leichen Tierhaare. Ein schrecklicher Herr des Waldes treibt sein Unwesen, ein blutrünstiger Basajaun.«
Der Artikel über den Mord an Anne trug die Überschrift: Hat der Basajaun erneut zugeschlagen?
11
B evor der Mensch eingriff, bestand der Wald von Baztán in höheren Regionen aus Buchen, in mittleren aus Eschen und Haselnusssträuchern und in niederen aus Eichen. Heute herrschten Buchen despotisch über alle anderen Bäume. Wiesen, Stech- und Heideginster, Farne und Heidekraut bildeten den Teppich, auf dem die Bewohner von Baztán seit Generationen spazierengingen, eine verzauberte Landschaft.
Der Wald hatte Amaia stets mit heimlichem Stolz und einem Gefühl von Zugehörigkeit erfüllt. Andererseits hatte seine Erhabenheit ihr auch eine gewisse Angst eingeflößt. Sie liebte den Wald, aber es war eine ehrerbietige Liebe, die sie im Stillen und aus der Entfernung nährte. Als sie fünfzehn war, hatte sie sich eine Zeit lang der Wandergruppe eines Bergvereins angeschlossen, aber die lärmende Gesellschaft der anderen war ihr so unangenehm gewesen, dass sie nach drei Exkursionen wieder ausgetreten war. Erst als sie den Führerschein gemacht hatte und auf Schotterpisten weiter in den Wald vordrang, ließ sie sich wieder von seinem Zauber anlocken. Erstaunt entdeckte sie, dass jedes Mal eine Unruhe von ihr Besitz ergriff, wenn sie allein in den Bergen war, ein Gefühl, beobachtet zu werden, an einem verbotenen Ort zu sein, eine Reliquie zu entweihen. Und jedes Mal war sie aufgewühlt wieder in ihr Auto gestiegen, erschüttert von dieser Erfahrung, dieser Urangst. Wenn sie wieder in Tante Engrasis Wohnzimmer gesessen hatte, war es ihr lächerlich und kindisch vorgekommen.
Jetzt aber ging es darum, die Ermittlungen voranzutreiben, also kehrte Amaia zurück in den dichten Wald von Baztán. Der Winter hielt sich nirgends so lange wie dort. Der Regen, der die ganze Nacht über gefallen war, hatte nachgelassen und einer kalten, schweren, von Feuchtigkeit gesättigten Luft Platz gemacht, die durch die Kleidung hindurch bis zu den Knochen drang. Nicht einmal die dicke Daunenjacke, die James ihr am Morgen aufgenötigt hatte, half dagegen. In der scheuen Februarsonne glänzten die vom vielen Wasser dunkel gewordenen Stämme wie die Haut eines urzeitlichen Reptils. Die Unterseiten der welken Blätter leuchteten silbrig im Wind. Der Fluss, der in der Tiefe zu erahnen war, schwemmte als stummer Zeuge das Entsetzen weg, mit dem der Mörder seine Ufer besudelt hatte.
Jonan zog den Reißverschluss seiner Winterjacke hoch und ging schneller, um Amaia einzuholen.
»Da sind sie«, sagte er und deutete auf einen Landrover mit dem Emblem der Förster.
Die uniformierten Männer sahen ihnen schon von weitem entgegen. Amaia hatte den Eindruck, dass sie sich über sie lustig machten, denn sie lachten und wandten den Blick ab.
»Machos«, murmelte Jonan.
»Ganz ruhig, mein Lieber, wir haben schon schlimmere Schlachten geschlagen«, sagte sie leise.
»Guten Tag! Ich bin Inspectora Salazar von der Mordkommission, und das hier ist Subinspector Etxaide«, stellte sie sich und Jonan vor, als sie vor den beiden standen.
Die Männer waren extrem schlank und drahtig, wobei der eine fast einen Kopf größer war als der andere. Amaia bemerkte, wie der Längere sich aufrichtete, als sie ihren Rang nannte.
»Inspectora, ich heiße Alberto Flores, und das hier ist mein Kollege Javier Gorria. Wir sind für dieses riesige Gebiet mit seinen rund fünfzig Quadratkilometern zuständig. Aber wenn wir Ihnen irgendwie helfen können, gern.«
Amaia antwortete nicht sofort, sondern sah die beiden Männer erst einmal länger an. Diese Einschüchterungstaktik zeigte fast immer Wirkung, so auch diesmal. Javier Gorria, der bis dahin lässig an der Motorhaube gelehnt hatte, richtete sich nun ebenfalls auf und machte einen Schritt nach vorn.
»Wir werden Ihnen selbstverständlich in allem behilflich sein, Señora. Die Bärenexperten aus Huesca sind vor einer Stunde eingetroffen, ihr Auto steht weiter unten.« Er deutete auf eine Straßenkehre. »Wir führen Sie gern hin.«
»Einverstanden, aber nennen Sie
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