Das Echo dunkler Tage
aber der Gefahr aussetzt, gesehen zu werden, was wiederum nicht zu seiner sonstigen Vorgehensweise passt; oder er bringt sie irgendwohin, vermutlich in einem Auto, einem großen Auto, schließlich muss er die Leiche transportieren. Ich neige zu letzterer Theorie«, sagte Amaia.
»Glauben Sie wirklich, dass die Mädchen einfach bei irgendwem einsteigen?«, fragte Jonan.
»In Pamplona vielleicht nicht«, schaltete sich Iriarte ein, »aber auf dem Land schon. Wenn die Leute hier jemanden an der Bushaltestelle sehen, halten sie an und fragen, wohin er will; und wenn es auf der Strecke liegt, nehmen sie einen mit. Das würde auch die These untermauern, dass es sich um jemandem aus dem Dorf handelt, der die Mädchen von klein auf kennt, dem sie genügend vertrauen, um bei ihm einzusteigen.«
»Okay, fassen wir zusammen: Wir suchen einen Mann, weiß, zwischen dreißig und fünfundvierzig, vielleicht auch etwas älter. Lebt wahrscheinlich bei seiner Mutter oder bei seinen Eltern. Wurde streng erzogen oder, im Gegenteil, so frei, dass er seine eigene Moral ausgebildet hat, die er nun anwendet. Vielleicht wurde er als Kind missbraucht oder hat ein anderes Trauma erlitten, den frühen Tod der Eltern zum Beispiel. Ich will, dass ihr alle Männer ausfindig macht, die irgendwie auffällig geworden sind, durch Mobbing, Exhibitionismus, Herumstreunen. Fragt alle, die schon mal bei diesem Pärchentreff waren, ob ihnen da jemand aufgefallen ist oder ob sie irgendwas in dieser Richtung gehört haben. Wie ihr wisst, wird man nicht aus dem Nichts zum Verbrecher, man entwickelt sich zu einem. Verhört jeden Mann in Baztán, der schon mal gewalttätig geworden ist. Die Informationen gebt ihr alle in Jonans Computer ein. Solange wir keine andere Spur haben, konzentrieren wir uns aber vor allem auf die Familien, Freunde und näheren Bekannten. Morgen wird Anne Arbizu beerdigt. Wir gehen wieder genauso vor wie bei Ainhoa, dann haben wir Material, das wir vergleichen können. Erstellt eine Liste mit allen männlichen Personen, die an beiden Begräbnissen teilgenommen haben und in unser Täterprofil passen. Montes, fragen Sie doch mal bei Carlas Freunden nach, ob jemand beim Trauergottesdienst oder Begräbnis mit dem Handy gefilmt oder fotografiert hat. Darauf bin ich erst gekommen, als Jonan von Ainhoas Freundinnen erzählt hat, die gleichzeitig geweint und telefoniert haben. Jugendliche haben heutzutage immer und überall ihr Handy dabei, also prüfen Sie das nach.« Das »bitte« ließ sie absichtlich weg. »Zabalza, ich würde gern mit einem Förster sprechen oder mit jemandem von der SEPRONA, die sind schließlich für Tier- und Umweltschutz zuständig und müssten sich mit Bären auskennen. Jonan, du kannst schon mal rauskriegen, ob hier im Tal kürzlich ein Bär gesichtet wurde, über GPS oder so. Sobald jemand was hat, meldet er sich bei mir, ich will rund um die Uhr auf dem Laufenden gehalten werden. Da draußen treibt ein Monster sein Unwesen, und wir müssen es stoppen.«
Während die anderen das Zimmer verließen, kam Iriarte zu ihr.
»Inspectora, der Comisario von Pamplona erwartet Ihren Anruf.«
Amaia folgte ihm in sein Büro und ließ sich zu ihrem Vorgesetzten durchstellen.
»Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für Sie. Wir ermitteln so schnell wir können, aber der Mörder ist leider schneller als wir«, erklärte sie ihm.
»Schon gut, ich weiß, dass die Ermittlungen in den besten Händen sind. Vor einer Stunde hat mich ein Bekannter angerufen, der bei der Zeitung Diario de Navarra arbeitet. Dort erscheint morgen ein Interview mit Miguel Angel de Andrés, dem Freund von Carla Huarte. Ich muss Ihnen ja nicht erklären, in welche Lage uns das bringt. Aber das ist nicht das eigentlich Problem, viel schwerer wiegt, dass der Journalist im Laufe des Interviews andeutet, dass im Tal von Baztán ein Serienmörder sein Unwesen treibt und dass Miguel Angel de Andrés freikam, als klar wurde, dass zwischen dem Mord an Carla und dem an Ainhoa ein Zusammenhang besteht. Erschwerend kommt hinzu, dass morgen der Mord an diesem letzten Mädchen bekannt gegeben wird, dieser Anne«, er schien den Namen ablesen zu müssen, »Urbizu.«
»Arbizu«, verbesserte ihn Amaia.
»Ich faxe Ihnen eine Kopie der beiden Artikel. Und ich sage schon mal voraus, dass Sie nicht begeistert sein werden, da waren ziemliche Schmierfinken am Werk.«
Iriarte verließ das Büro und kam kurz darauf mit zwei Blättern zurück, auf denen einige
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