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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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können wir die rosafarbenen Flecken abgleichen. Und das hier« – er zeigte auf eine weitere Tüte – »sind die Tücher, die wir bei Ainhoa gefunden haben. Sie weisen das gleiche Streifenmuster auf, sind also von derselben Marke, nur sind weniger Make-up-Spuren drauf. Ainhoas Freundinnen haben angegeben, dass sie nur Gloss benutzte.«
    Zabalza stand auf.
    »Bei Carla haben wir nichts gefunden, wahrscheinlich ist dafür schon zu viel Zeit vergangen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Leiche halb im Fluss lag. Sollte der Täter die Tücher weggeworfen haben, hat sie das Hochwasser mitgenommen. Die Eltern haben uns aber bestätigt, dass sie sich täglich geschminkt hat.«
    Amaia stand ebenfalls auf und begann im Zimmer umherzugehen.
    »Jonan, was sagt uns das?«
    Der Subinspector beugte sich nach vorn und tippte mit dem Zeigefinger auf eines der Fotos.
    »Er schminkt sie ab und zieht ihnen die Schuhe aus, Schuhe, die in allen drei Fällen hohe Absätze hatten. Er kämmt ihnen die Haare aus dem Gesicht und rasiert ihre Scham. Mit anderen Worten: Er verwandelt sie zurück in Kinder.«
    »Genau«, bestätigte Amaia. »Offenbar findet dieser Irre, dass sie zu früh erwachsen geworden sind.«
    »Ein Pädophiler, der auf kleine Mädchen steht?«
    »Nein, wäre er ein Pädophiler, würde er sich direkt an Kinder ranmachen. Das hier sind Jugendliche, Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, Mädchen, die älter wirken wollen, als sie sind. Was nichts Ungewöhnliches ist, sondern eine normale Phase in der Pubertät. Aber der Täter scheint etwas dagegen zu haben.«
    »Was vermuten lässt, dass er sie schon von klein auf kennt und ihm nicht gefällt, was er sieht. Er will die Uhr zurückdrehen«, spekulierte Zabalza.
    »Er begnügt sich nicht damit, ihnen die Schuhe auszuziehen und das Make-up abzuwischen, er schlitzt auch ihre Kleidung auf und entblößt ihren noch nicht voll ausgereiften Körper, rasiert ihnen die Schamhaare, die bereits die Frau ankündigen und seine Vorstellung von Kindheit entweihen, und er legt ein Kuchenstück auf die Stelle, ein Symbol für die Tradition des Tals, die alten Werte. Er bestraft sie, indem er an ihnen sein Reinheitsideal inszeniert. Deshalb vergewaltigt er sie auch nicht, das wäre das Letzte, was er tun würde, vielmehr will er sie vor dem Verderben bewahren, vor der Sünde. Wenn ich recht habe, wenn das sein Motiv ist, denn wird er weitermorden. Zwischen dem Mord an Carla und dem an Ainhoa lagen noch vier Wochen, aber zwischen dem an Ainhoa und dem an Anne nur zwei Tage. Offenbar fühlt er sich dazu berufen, weitere Mädchen auszusuchen und sie in den Zustand der Reinheit zurückzuversetzen. Deshalb ordnet er auch die Hände so an, mit den Handflächen nach oben, damit symbolisiert er Hingabe und Unschuld.«
    Amaia hielt inne, weil ihr plötzlich etwas eingefallen war.
    »Inspector Iriarte, würden Sie bitte mal den Kalender aus Ihrem Büro holen?«
    Gleich darauf war Iriarte wieder da. Er legte zwei Kalender auf den Tisch: Auf dem einen war die Jungfrau der unbefleckten Empfängnis dargestellt, auf dem anderen Unsere liebe Frau in Lourdes. Beide Jungfrauen lächelten voll der Gnade und streckten ihre Arme zu beiden Seiten des Körpers aus, zeigten edelmütig und vorbehaltslos die offenen Handflächen, von denen ein Sonnenstrahl ausging.
    »Da haben wir’s!«, rief Amaia. »Die Mädchen liegen da wie diese Jungfrauen.«
    »Der Kerl hat wirklich einen Knall«, bemerkte Zabalza. »Der wird tatsächlich nicht aufhören, wenn wir ihn nicht stoppen.«
    »Aktualisieren wir das Täterprofil«, schlug Amaia vor.
    »Männlich, zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig«, begann Iriarte.
    »Das können wir jetzt genauer bestimmen. Meiner Meinung nach ist er eher über vierzig. Diese Abneigung gegen heranwachsende Mädchen passt nicht zu einem jungen Mann. Er hat auch nichts Ungestümes, geht wohlüberlegt vor, hat immer alles dabei, was er für seine Inszenierung braucht. Wobei er seine Opfer woanders tötet.«
    »Vielleicht sogar immer am selben Ort«, gab Montes zu bedenken.
    »Glaube ich nicht, jedenfalls nicht irgendwo drinnen, ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass die Mädchen einfach so zu einem Mann mit nach Hause gehen; außerdem haben sie sich nicht gewehrt, mit Ausnahme von Anne, aber auch die hat erst ganz am Ende um ihr Leben gekämpft. Ich sehe nur zwei Möglichkeiten: Entweder er lauert ihnen irgendwo auf und greift sie überraschend an, womit er sich

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