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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Mal hinunter zum Wasser. Als sie aufbrach, setzte Regen ein.

13
    N eben den Stimmen aus dem Fernseher waren auch die von James und Jonan zu hören, die sich im kleinen Wohnzimmer von Tante Engrasi unterhielten. Offenbar störte es sie nicht, dass die sechs älteren Damen, die um einen grün bezogenen sechseckigen Tisch saßen und Poker spielten, einen Heidenlärm veranstalteten. Den Tisch hatte sich ihre Tante extra aus Bordeaux kommen lassen, schließlich sollte die abendliche Pokerpartie, bei der um ein paar Euros und die Ehre gespielt wurde, in einem würdigen Rahmen stattfinden. Als die beiden Männer Amaia eintreten sahen, standen sie auf und gingen zu ihr. James gab ihr einen Kuss, nahm sie bei der Hand und führte sie in die Küche.
    »Jonan muss mit dir sprechen. Ich lasse euch mal allein.«
    Der Subinspector streckte ihr einen braunen Umschlag hin.
    »Chefin, das ist der Bericht der Spurensicherung, ich dachte, den wollen Sie bestimmt gleich sehen«, sagte er und ließ seinen Blick durch Tante Engrasis riesige Küche schweifen. »Dass es solche Küchen noch gibt!«
    »Gibt es auch eigentlich nicht mehr«, erwiderte Amaia und zog das Schreiben aus dem Umschlag.
    »Nicht zu fassen. Die Haare, die wir an den Leichen gefunden haben, stammen von unterschiedlichen Tieren: einem Wildschwein, einem Fuchs und möglicherweise von einem Bären. Und jetzt halt dich fest: Die Hautreste an der Schnur sind von einer Ziege.«
    »Einer Ziege?«
    »Sieht so aus, als hätten wir die ganze Arche Noah versammelt. Mich wundert nur, dass man nicht auch noch Elefantenrotz und Walsperma gefunden hat.«
    »Keine menschlichen Spuren?«
    »Keine menschlichen Spuren, kein Haar, keine Körperflüssigkeit, nichts. Was würden wohl unsere Förster dazu sagen?«
    »Sie würden sagen: Kein Wunder, es war ja auch kein Mensch, sondern ein Basajaun.«
    »Der Typ ist ein Idiot. Basajaunak sind friedliche Wesen, Beschützer allen Lebens im Wald, das hat er ja selber gesagt. Außerdem hat ihm so ein Basajaun das Leben gerettet. Und jetzt soll dieses Wesen junge Mädchen ermorden?«
    Jonan dachte nach.
    »Er muss die Mädchen ja nicht getötet haben. Im Gegenteil: Als Hüter des Waldes scheint es mir nur logisch, dass er sich verantwortlich fühlt, von dem Übeltäter provoziert.«
    Amaia sah ihn überrascht an.
    »Logisch? Das ist ein Scherz, oder?«
    Jonan grinste.
    »Dieser Quatsch mit dem Basajaun amüsiert dich, gib’s zu.«
    »Nur da, wo keine toten Mädchen mit im Spiel sind. Außerdem wissen Sie doch besser als jeder andere, dass es kein Quatsch ist. Das sage ich nicht nur als Polizist, sondern auch als Archäologe und Anthropologe.«
    »Das wird ja immer besser. Wieso soll ich das besser wissen als jeder andere?«
    »Weil Sie hier geboren und aufgewachsen sind. Oder wollen Sie mir weismachen, dass Sie diese Geschichten nicht schon mit der Muttermilch eingesogen haben? Das ist kein Aberglaube, sondern Teil der baskischen Kultur und Mythologie. Vergessen Sie nicht: Was heute Mythologie ist, war früher Religion.«
    »Und du vergiss nicht, dass im Namen der Religion Frauen verfolgt wurden und auf dem Scheiterhaufen landeten, bei der großen Hexenverbrennung von 1610 zum Beispiel. Schuld daran war genau diese Art von Aberglaube, den wir zum Glück überwunden haben.«
    Jonan schüttelte den Kopf.
    »Es stimmt, dass religiöser Eifer großen Schaden angerichtet hat. Andererseits haben bis vor hundert Jahren alle hier an Hexen, Sorginak oder Belagileak genannt, Basajaunak, den Riesen Tartalo und vor allem an die Göttin Mari geglaubt, die Beschützerin der Ernten und des Viehs. Und haben sie gefürchtet, weil sie aus einer Laune heraus Donner und Hagel schicken und schlimmste Hungersnöte hervorrufen konnte. Die Menschen glaubten mehr an Hexen als an die Heilige Dreifaltigkeit. Der Kirche passte das natürlich überhaupt nicht, sie musste erleben, wie die Leute nach der Messe alten Ritualen nachgingen, Ritualen, die schon von jeher Teil ihres Lebens waren. Manche Kirchenvertreter bekämpften diese Art von Glauben, so zum Beispiel Pier de Lancré. Mit geradezu krankhafter Besessenheit führte er einen Krieg dagegen, erreichte damit aber nur das Gegenteil. Plötzlich war das, was für viele Menschen ein normaler Bestandteil ihres Glaubens gewesen war, verflucht und wurde verfolgt. Viele wurden das Opfer von Denunzianten, denn wer andere bei der Inquisition anzeigte, war von jedem Verdacht befreit. Bis die Kirche ihren Feldzug der Intoleranz

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