Das Echo dunkler Tage
ein schmaler Durchgang, auch Belena genannt, der die Jaime-Urrutia-Straße mit der Santiago-Straße verband. Früher hatten viele solcher Passagen zu den Ställen, Feldern und Gärten geführt, die durch den Bau der jetzigen Straße verschwunden waren. Gegenüber den Säulengängen, den sogenannten Gorapes , gleich neben der Plaza de Abastos, stand die alte Mühle von Elizondo, die Ende des 19. Jahrhunderts wieder errichtet und Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Elektrizitätswerk umgebaut worden war. Die Architektur eines Dorfes oder einer Stadt prägte die Lebensart seiner Bewohner wie die Gewohnheiten eines Menschen sein Verhalten. Orte prägten den Charakter ebenso stark wie Familie und Erziehung. Das kleine Städtchen Elizondo zeugte von Stolz, Mut und Kampfeswillen, von Ehre und Ruhm, erlangt nicht mit Gewalt, sondern mit Einfallsreichtum. Nicht umsonst war das Schachbrett das Symbol der Stadt. Wer es mit Ehrlichkeit und Treue zu einem Haus gebracht hatte, der durfte seine Fassade mit diesem Schild schmücken.
Und nun hatte es ausgerechnet an diesem Ort der Ehre und des Stolzes ein Mörder gewagt, sein makabres Spiel zu treiben wie ein schwarzer König, der weiße Bauern verschlingt. Ein Mörder, der so hochmütig und großspurig vorging wie all die Serienmörder vor ihm. Jonan dachte an die grausame Geschichte dieser unheimlichen Spezies von Verbrechern. Der erste Serienmörder der Moderne war zweifellos Jack the Ripper gewesen, der mindestens fünf unschuldige Prostituierte ermordet hatte und über dessen Identität bis heute spekuliert wird. Sein Pendant in den USA war H. H. Holmes, der siebenundzwanzig Morde gestanden hatte. Er war der erste Serienkiller, dessen Geschichte dokumentiert war. Zwei Jahrzehnte später versetzte ein Schlächter, der seine Opfer mit der Axt massakrierte, zwei Jahre lang New Orleans in Angst und Schrecken, bevor er gestellt werden konnte.
Aber die große Welle kam in den USA erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem Vietnamkrieg. Das durchschnittliche Alter der Truppenangehörigen hatte bei neunzehn Jahren gelegen. Wie Berichten und Interviews zu entnehmen war, hatte das Klima extremer Gewalt, panische Angst und das Bewusstsein, niemals belangt zu werden, die jungen Männer in einen Blutrausch versetzt. Sie hatten regelrechte Massaker angerichtet, auch an unschuldigen Menschen, und diese Erfahrung hatte sie ein Leben lang geprägt. Bevor Harvey Glatman aus Kalifornien seine Opfer ermordete, machte er noch Fotos von ihnen, genau in dem Moment, wenn ihnen bewusst wurde, dass sie sterben würden. Martha Beck und Raymundo Fernández, die »Mörder einsamer Herzen«, brachten Paare um, die in Autos Sex hatten. Weitere bekannte Serienmörder waren Albert De Salvo, der Würger von Boston; der Sektenführer Charles Manson, der den Mord an Sharon Tate, Roman Polanskis Frau, in Auftrag gegeben hatte; oder der Zodiac-Killer, der nach vermutlich mehr als dreißig Morden plötzlich aufhörte und nie gefasst wurde.
In den Siebzigerjahren traten derartig viele Serienkiller in Erscheinung, dass die US-amerikanische Justiz dieses Phänomen zur eigenen Verbrechenskategorie erklärte. Es wurden Studien, Statistiken und Täterprofile von jedem Mörder erstellt, der verhaftet wurde. Jedes biografische Detail wurde durchleuchtet: Eltern, Ausbildung, Kindheit, Spiele, Vorlieben, Sexpraktiken, Alter … Aus all diesen Daten wurden Muster abgeleitet, die sich bei späteren Schlächtern tatsächlich wiederholten. Einige Taten konnten dadurch schon im Vorfeld erkannt und viele andere aufgeklärt werden.
Die jüngsten Fälle waren: David Berkowitz, bekannt als »Son of Sam«, der Stimmen hörte, die ihn anwiesen, hemmungslos zu töten; Ted Bundy, der mehrere Dutzend junger Frauen umbrachte; Ed Kemper, der seine Opfer, darunter auch seine Mutter und Großmutter, brutal ermordete, die Leichname zerstückelte und sich oftmals noch an ihnen verging; und Jeffrey Dahmer, der seine Opfer nicht nur tötete und zerstückelte, sondern auch aß.
Jonan war fasziniert von der Möglichkeit, ein Täterprofil zu erstellen. Für ihn war es eine Art Schachspiel, bei dem es darum ging, den nächsten Zug des Gegners vorauszusehen. Ein einziger Zug konnte bestimmen, wie sich die Partie entwickelte, wer am Ende den Kürzeren ziehen würde. Er hätte für sein Leben gern an einem dieser Seminare teilgenommen, die Inspectora Salazar regelmäßig besuchte. Einstweilen musste er sich damit begnügen, von ihr zu
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