Das Echo dunkler Tage
antwortete nicht, sondern hob die Hand und legte sie sich auf den Mund, wie um etwas zurückzuhalten, das sie nicht aussprechen wollte.
»Ich sehe schon, ich hätte es Ihnen nicht erzählen sollen«, sagte Flores und ging wieder los.
12
E s war schon dunkel, als Amaia an der Santiago-Kirche ankam. Sie drückte gegen die Tür, war sich aber sicher, dass sie verschlossen war. Zu ihrer Überraschung gab sie sanft und leise nach. Der Altar war beleuchtet, rund fünfzig Kinder saßen in den ersten Reihen. Amaia tauchte die Fingerkuppen in das Weihwasserbecken und schauderte leicht, weil das Wasser eiskalt war.
»Wollen Sie ein Kind abholen?«
Amaia drehte sich um. Vor ihr stand eine Frau Mitte vierzig, die einen Schal um die Schultern gelegt hatte.
»Wie bitte?
»Oh, Entschuldigung. Ich dachte, Sie wollten eines der Kinder abholen.« Offenbar hatte sie Amaia erkannt. »Wir proben gerade die Erstkommunion.«
»Jetzt schon? Es ist doch erst Februar.«
»Pfarrer Germán ist in diesen Dingen etwas eigen«, erklärte die Frau und hob entschuldigend die Hände. Amaia musste an die Predigt beim Trauergottesdienst denken, über das Böse, das angeblich im Tal lauerte. Sie fragte sich, in welchen Dingen der Pfarrer der Santiago-Kirche noch etwas eigen war. »Und es ist ja tatsächlich nicht mehr so viel Zeit, nur noch März und April, denn Anfang Mai ist die erste Gruppe dran.« Sie hielt inne. »Entschuldigen Sie, ich stehle Ihnen die Zeit. Sie wollen mit Pfarrer Germán sprechen, richtig? Er ist in der Sakristei, ich sage ihm Bescheid.«
»Nein, nein, nicht nötig. Ich bin privat hier«, sagte Amaia schnell und betonte das Wort »privat«, als müsste sie sich dafür entschuldigen. Dies brachte ihr die spontane Sympathie der Katechismuslehrerin ein, die einige Schritte zurücktrat, wie eine Dienerin, die sich zurückzieht.
»Selbstverständlich. Gott sei mit Ihnen!«
Amaia machte einen Rundgang durch die Kirche, ließ den Hauptaltar links liegen und wandte sich den Schnitzereien der kleineren Altäre zu. Sie musste an die toten Mädchen denken, an ihre abgeschminkten, leblosen Gesichter, an den Täter mit seiner kranken Fantasie, der die Leichen als Kunstwerke präsentierte. Sie betrachtete die Heiligenfiguren, die Erzengel, die trauernden Jungfrauen mit ihren blassen, glatten Gesichtern, die geläutert waren von Schmerz, Reinheit und Ekstase, einer Ekstase, die dem Todeskampf entsprang, der langsamen, so ersehnten wie gefürchteten Qual, in Demut erduldet, in überwältigter Hingabe.
»Das wirst du nie bekommen«, murmelte sie.
Die Mädchen waren keine Heiligen gewesen, sie hatten sich nicht demütig hingegeben. Der Täter hatte ihnen das Leben entreißen müssen wie ein Seelendieb.
Sie verließ die Santiago-Kirche und ging langsam durch die Straßen. Wegen der Kälte und der Dunkelheit war trotz der frühen Uhrzeit niemand unterwegs. Sie durchquerte den Kirchgarten und bewunderte die Schönheit der riesigen Bäume, die mit den beiden Kirchentürmen darum zu wetteifern schienen, wer höher war. Während sie durch die verlassenen Straßen schlenderte, beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. Die Altstadt von Elizondo erstreckte sich entlang des Flusses Baztán und bestand aus drei parallel verlaufenden Straßen, an denen die großen Paläste und andere typische Gebäude lagen.
Die Braulio-Iriarte-Straße folgte dem nördlichen Ufer und war über zwei Brücken mit der Jaime-Urrutia-Straße verbunden, der einstigen Hauptstraße. Am Südufer verlief die neu gebaute Santiago-Straße, an der sich ein Herrenhaus an das andere reihte. Von hier aus war das Dorf weiter gewachsen, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Landstraße von Pamplona nach Frankreich gebaut wurde.
Als Amaia auf den Hauptplatz kam, fuhr der Wind in die Falten ihres Schals. Für ihren Geschmack war der Platz zu stark beleuchtet, besaß nicht einmal mehr die Hälfte des Zaubers, den er im vergangenen Jahrhundert besessen haben musste, als dort vor allem Pelota gespielt wurde. Sie ging zum Rathaus, einem vornehmen Gebäude vom Ende des 17. Jahrhunderts, in zweijähriger Arbeit erbaut von Juan de Arozamena, einem berühmten Steinmetz. Auf der Fassade war das berühmte Schild mit dem Schachbrettmuster angebracht, dessen Inschrift lautete: »Tal und Universität von Baztán«. Vor dem Gebäude, an der linken unteren Seite, befand sich ein Stein namens Bote Harri , der für ein Ballspiel namens Laxoa diente.
Amaia nahm eine Hand aus der Tasche und
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