Das Echo dunkler Tage
führte, hatte diese alte Religion friedlich neben dem Christentum existiert. Unserer Gesellschaft heute würde es durchaus gut zu Gesicht stehen, wenn sie einige dieser alten Werte wieder aufgreifen würde.«
Amaia war beeindruckt von dem, was ihr sonst so introvertierter Subinspector alles wusste.
»Jonan, Wahn und Intoleranz hat es immer schon gegeben, in allen Gesellschaften. Du hörst dich so an, als hättest du gerade mit meiner Tante Engrasi gesprochen.«
»Habe ich nicht, würde ich aber gern. Ihr Mann hat mir erzählt, dass sie Karten legt und solche Sachen.«
»Und solche Sachen … Halt dich bloß von meiner Tante fern«, sagte Amaia lächelnd. »Die ist sowieso schon ein Hitzkopf.«
Jonan lachte und starrte wie hypnotisiert auf den Braten, der neben dem Ofen lag und nur darauf wartete, die letzte knusprige Bräune zu erhalten.
»Apropos Hitzkopf. Weißt du, wo Montes steckt?«
Der Subinspector wollte schon antworten, biss sich stattdessen auf die Unterlippe und wich Amaias Blick aus.
»Jonan, wir führen hier die vielleicht wichtigste Ermittlung unserer Laufbahn. Es steht viel auf dem Spiel: unser Ruf, unsere Ehre. Vor allem aber müssen wir dieser Bestie das Handwerk legen, verhindern, dass sie noch mal zuschlägt. Ich weiß deine Solidarität zu schätzen, aber Montes nimmt sich im Moment einfach zu viele Freiheiten heraus und riskiert damit den Erfolg der Ermittlungen. Ich weiß, wie du dich fühlst, mir geht’s genauso. Noch habe ich nicht entschieden, was ich mit ihm machen soll, und selbstverständlich habe ich noch keine Beschwerde eingereicht, aber das könnte durchaus noch kommen. So leid es mir täte und sosehr ich Montes schätze, ich werde nicht zulassen, dass er mit seinem exzentrischen Benehmen die Arbeit der Kollegen behindert, die mit vollem Einsatz bei der Sache sind. Und jetzt rück raus mit der Sprache: Was weißt du von Montes?«
»Ich bin ganz auf Ihrer Seite, Chefin. Wenn ich bisher noch nichts gesagt habe, dann weil es sich um eine Privatangelegenheit handelt.«
»Das würde ich gern selber beurteilen.«
»Ich habe Montes heute im Antxitonea gesehen. Er hat mit Ihrer Schwester zu Mittag gegessen.«
»Mit Rosaura?«
»Nein, mit Ihrer anderen Schwester.«
»Mit Flora? Haben die beiden dich auch gesehen?«
»Nein, ich saß mit Iriarte vor der gläsernen Trennwand. Als die beiden reinkamen, wollte ich aufstehen, um sie zu begrüßen, aber sie sind schnurstracks nach hinten in den Speisesaal gegangen, und ich wollte nicht aufdringlich sein. Iriarte und ich sind nach einer halben Stunde gegangen, da haben Montes und Ihre Schwester gerade gegessen.«
Jonan Etxaide hatte sich von schlechtem Wetter noch nie abschrecken lassen, im Gegenteil: Ein Spaziergang im strömenden Regen gehörte zu seinen größten Leidenschaften. Wann immer es in Pamplona wie aus Kübeln goss, schlenderte er gern allein durch die Straßen, die Kapuze seines Anoraks über den Kopf gezogen, während alle anderen sich in Cafés flüchteten oder sich unter die trügerischen Vordächer der Gebäude drängten, unter denen man oft nasser wurde als im Regen selbst. Während er durch Elizondo spazierte, bewunderte er den Regen, der wie ein luftiger Vorhang über die Straßen wehte, wie der Schleier einer Braut. Die Scheinwerfer der Autos durchbohrten die Dunkelheit und zeichneten Gespenster in die Luft, und das rote Licht der Ampel zerfloss und bildete rote Pfützen. Im Gegensatz zu den menschenleeren Gehwegen herrschte auf den Straßen reger Verkehr, alle Welt schien irgendwohin zu fahren. Jonan ging schneller, immer die Santiago-Straße entlang, wollte dem Lärm entkommen, der tatsächlich schlagartig verstummte, als er den Rathausplatz betrat.
Er fühlte sich wie in eine andere Zeit versetzt und betrachtete die Fassaden des Rathauses und des Casinos, das Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden war. Dort hatten sich die wohlhabenden Bewohner Elizondos getroffen, dort hatte sich ein Großteil ihres gesellschaftlichen Lebens abgespielt. Hinter diesen Fenstern waren wirtschaftliche und politische Entscheidungen gefällt worden, wahrscheinlich mehr als im Rathaus nebenan. Der soziale Rang und seine Zurschaustellung waren damals wesentlich wichtiger gewesen als heute. An einer Ecke des Platzes, dort, wo früher die Kirche gewesen war, stand nun das Haus des Architekten Víctor Eusa.
Fasziniert von den historischen Gebäuden ging Jonan die Jaime-Urrutia-Straße hinunter. Bei der Hausnummer 27 befand sich
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