Das Echo dunkler Tage
sich überschwänglich. Bevor sie endgültig aufbrachen, lobten sie noch James über den grünen Klee.
»Diese alten Hexen«, murmelte Amaia und strahlte.
Ihr Blick fiel auf den Umschlag, den sie in der Hand hielt, und augenblicklich verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Ziegenhaut, dachte sie. Als sie den Blick wieder hob, bemerkte sie, dass James sie fragend ansah, mit einem Lächeln, das nicht ganz echt wirkte.
»Amaia, die Lenox-Klinik hat angerufen. Sie wollen wissen, ob wir den Termin diese Woche wahrnehmen oder wieder verschieben.«
»Ach, James, ich habe meinen Kopf gerade ganz woanders.«
»Wir können es nicht ewig rauszögern.«
Sie spürte den Ärger in seiner Stimme, also nahm sie seine Hand.
»Will ich auch nicht, aber im Augenblick kann ich mir darüber keine Gedanken machen.«
»Kannst du nicht, oder willst du nicht?«, fragte er, löste seine Hand aus der ihren und sah sie abweisend an. Gleich darauf schien er es zu bereuen.
»Tut mir leid. Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er und zeigte auf den Umschlag.
Amaia sah erst den Umschlag an, dann ihren Mann.
»Dieses Puzzle muss ich schon selber lösen. Machst du mir einen Kaffee? Und setzt dich zu mir und erzählst mir, was du den ganzen Tag getrieben hast?«
»Gern, aber ohne Kaffee. Du bist auch ohne Koffein schon aufgekratzt genug. Ich mache dir lieber einen Tee.«
Amaia setzte sich in einen der Ohrensessel vor dem Kamin. Sie legte den Umschlag zur Seite, lauschte dem Gespräch, das die geschäftige Tante Engrasi und James in der Küche führten, und betrachtete die Flammen, die um einen Holzklotz züngelten. Als James ihr eine Tasse dampfenden Tee brachte, wurde ihr bewusst, dass sie sich minutenlang in der hypnotischen Wärme des Feuers verloren hatte.
»Du brauchst mich ja gar nicht mehr, um dich zu entspannen«, rief James und zog ein schmollendes Gesicht.
»Natürlich brauche ich dich, um mich zu entspannen … und noch für andere Sachen. Es ist das Feuer und dieses Haus. Ich habe mich hier schon immer wohlgefühlt. Als ich klein war, habe ich mich hierher geflüchtet, wenn ich mit meiner Mutter gestritten hatte, was ziemlich oft vorkam. Dann habe ich mich vor den Kamin gesetzt und ins Feuer gestarrt, bis mir die Wangen glühten oder bis ich eingeschlafen war.«
James legte ihr eine Hand auf den Kopf und ließ sie langsam in Richtung Nacken gleiten. Er löste ihr Gummi, und die Haare öffneten sich wie ein Fächer und fielen ihr bis über die Schultern.
»Hier war mein eigentliches Zuhause. Mit acht habe ich mir sogar ausgemalt, wie es wäre, wenn Tante Engrasi meine Mutter wäre.«
»Das hast du mir noch nie erzählt.«
»Weil ich schon lang nicht mehr daran gedacht habe. Außerdem mag ich diesen Teil meiner Biografie nicht sonderlich. Aber jetzt, wo ich mal wieder für längere Zeit hier bin, kommen die alten Gefühle wieder hoch, wie Geister der Vergangenheit. Außerdem macht mich mein Fall ganz nervös.«
»Du kriegst den Mörder, da bin ich mir sicher.«
»Ich auch. Aber lass uns über was anderes reden, ich muss unbedingt mal abschalten. Erzähl, was hast du heute gemacht?«
»Ich bin durchs Dorf geschlendert und habe leckeres Brot gekauft, in dieser Bäckerei in der Santiago-Straße, die auch diese herrlichen Magdalenas hat. Danach habe ich deine Tante zu dem Supermarkt gefahren, der etwas außerhalb liegt, wo wir für ein ganzes Regiment eingekauft haben, und dann haben wir in einer Kneipe in der Gartzain-Straße köstliche schwarze Bohnen gegessen. Am Nachmittag habe ich deiner Schwester Ros geholfen, einige Sachen von sich zu Hause abzuholen, und jetzt ist mein Auto vollgestopft mit Kisten voller Kleidung und Papieren, und ich weiß nicht, wohin damit.«
»Und wo ist Ros jetzt?«
»Tja, Freddy war zu Hause. Als wir ankamen, lümmelte er auf dem Sofa herum und sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geduscht, die Augen blutunterlaufen und geschwollen. Um ihn verstreut lagen lauter Bierdosen, der Rotz lief ihm aus der Nase, und es wimmelte nur so von benutzten Papiertaschentüchern. Erst dachte ich, er hat Grippe, aber dann wurde mir klar, dass er geweint hatte. Im restlichen Haus sah es auch nicht besser aus, ein regelrechter Schweinestall war das, und so roch es auch. Ich habe dann lieber an der Tür gewartet. Du hättest sehen sollen, wie er mich angeschaut hat, aber gut, wenigstens gegrüßt hat er mich. Deine Schwester hat ihre Sachen zusammengepackt, und er ist ihr wie ein Hund von einem Zimmer
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