Das Echo dunkler Tage
hättest?«
»Das kann ich dir genau sagen: Das alles hier würde nicht mehr existieren.«
»Vielleicht würde Ros den Betrieb führen. Sie hatte immer schon ein gutes Händchen fürs Geschäft.«
»Nicht fürs Geschäft, fürs Backen, das ist was ganz anderes. Ich will mir lieber nicht vorstellen, wie der Betrieb aussähe, wenn Ros an der Spitze stünde. Sie kriegt ja nicht mal ihre eigenen Sachen geregelt, hat keinerlei Verantwortungsgefühl, ist kindisch und glaubt, dass das Geld auf Bäumen wächst. Wenn unsere Eltern ihr nicht das Haus vererbt hätten, säße sie jetzt auf der Straße. Man muss sich ja nur mal ansehen, was für einen Mann sie sich ausgesucht hat: einen Nichtsnutz, einen Haschischraucher, der keinen Finger krumm macht, einen Weltmeister der Playstation, der ihr das Geld aus der Tasche zieht und mit anderen Frauen rummacht. Wie soll sie da ein Geschäft führen? Außerdem hat sie nicht das Zeug dazu. Wo ist sie überhaupt? Warum ist sie nicht hier, um ihr Talent unter Beweis zu stellen?«
»Wäre sie vielleicht, wenn du nicht so hart zu ihr gewesen wärst.«
»Das Leben ist kein Zuckerschlecken, Schwesterchen«, sagte Flora verächtlich.
»Rosaura ist ein guter Mensch. Niemand ist dagegen gefeit, den falschen Mann zu wählen.«
Flora starrte sie an, als hätte der Blitz sie getroffen. Offenbar dachte sie an ihren eigenen Mann.
»Das war keine Anspielung auf Víctor.«
»So, so«, sagte Flora nur. Amaia schwante Böses: Flora würde gleich alle ihre Geschütze auffahren.
»Flora …«
»Ihr wollt gute Menschen sein, ja? Dafür reicht es aber nicht, wenn man nur gute Absichten hat. Wo warst du, als Mutter krank wurde, Miss Tugend?«
Genervt schüttelte Amaia den Kopf.
»Fängst du schon wieder damit an?«
»Was ist los, Miss Tugend? Redest du nicht so gern darüber, dass du deine kranke Mutter im Stich gelassen hast?«
»Flora, jetzt gehst du zu weit«, wehrte sich Amaia. »Ich war damals zwanzig, habe in Pamplona studiert, bin jedes Wochenende hergekommen. Ros und du, ihr habt hier gelebt, hier gearbeitet, wart beide schon verheiratet.«
Flora stand auf und ging auf Amaia zu.
»Du bist freitags gekommen und sonntags wieder gefahren. Wie viele Tage hat die Woche? Ich sag’s dir: sieben. Sieben Tage und sieben Nächte. Und weißt du, wer jede Nacht bei Mutter war? Ich, nicht du. Ich.« Sie schlug sich auf die Brust. »Ich habe sie gefüttert, gebadet und ins Bett gebracht, ich habe ihr die Windeln gewechselt, wenn sie wieder mal ihr Wasser nicht halten konnte. Sie hat mich geschlagen, beleidigt, verflucht, mich, die Einzige, die an ihrer Seite war, die Einzige, die immer an ihrer Seite war. Morgens kam Ros vorbei und ist mit ihr im Park spazieren gegangen, während ich nach einer schlaflosen Nacht die Backstube geöffnet habe. Und wenn ich abends nach Hause kam, das gleiche Programm, Tag für Tag, ohne dass mir jemand geholfen hätte, auch Víctor nicht. Es war ja nicht seine Mutter. Um die hat er sich gekümmert, als sie krank wurde. Außerdem hatte er Glück, eine Lungenentzündung, nach zwei Monaten war der Spuk vorbei. Ich dagegen musste drei Jahre durchhalten. So, du Gutmensch, jetzt sag mir mal, ob ich nicht alles Recht der Welt habe, euch verantwortungslos zu nennen?«
Sie kehrte Amaia den Rücken zu, ging langsam zum Schreibtisch zurück und blieb dort stehen.
»Ich finde, du bist ungerecht. Ros hat damals Nachtschichten eingelegt, damit sie sich morgens um Mutter kümmern konnte. Außerdem wolltest du Mutter unbedingt zu dir nehmen, als Vater starb. Ihr habt euch gut verstanden, zu dir hatte sie ein engeres Verhältnis als zu Ros, von mir ganz zu schweigen. Außerdem wart ihr damals schon erwachsen, während ich noch blutjung war und woanders wohnte. Ich bin so oft gekommen, wie es ging. Ros und ich wären bereit gewesen, sie in ein Heim zu bringen, als es ganz schlimm wurde. Als man sie für unzurechnungsfähig erklären musste, haben wir dich unterstützt, sogar Geld haben wir dir angeboten.«
»Geld! Die typische Lösung aller Verantwortungslosen dieser Welt. Ich schaffe mir das Problem vom Hals, indem ich zahle. Es war keine Frage des Geldes. Du weißt ganz genau, dass Vater uns genug Geld hinterlassen hatte. Es ging darum, das Richtige zu tun. Sie für unzurechnungsfähig erklären zu lassen war nicht meine Idee, sondern die von diesem blöden Arzt«, schimpfte sie mit brüchiger Stimme.
»Mein Gott, Flora! Ich kann es nicht fassen, dass du immer noch diese alte
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