Das Echo dunkler Tage
Geschichte wiederkäust. Mutter war damals nicht mehr richtig im Kopf, sie konnte sich nicht mehr um sich selber kümmern, geschweige denn um das Geschäft. Dr. Slaverria hat uns diesen Schritt nahegelegt, weil er wusste, welche Probleme sonst auf uns zukommen würden. Und tatsächlich hatte der Richter auch nicht den geringsten Einwand dagegen. Ich verstehe also nicht, warum du dich so damit quälst.«
»Dieser Arzt hat sich in Angelegenheiten eingemischt, die ihn nichts angingen, und ihr habt ihn gewähren lassen. Ich hätte nie erlauben dürfen, dass ihr sie in ein Krankenhaus einweist. Es hätte nicht so enden müssen, wenn die Lungenentzündung zu Hause behandelt worden wäre. Ich wusste, dass das mit dem Krankenhaus keine gute Idee war, weil sie dafür schon viel zu schwach war. Aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören.«
Es tat Amaia in der Seele weh, so viel Groll zu spüren. Früher hätte sie reagiert wie eine Sprungfeder, hätte sich eingelassen auf dieses Spiel der Vorwürfe, Erklärungen, Verurteilungen. Aber durch ihre Arbeit als Polizistin hatte sie gelernt, wie man die Kontrolle behielt, wie man mit Menschen umging, die so niederträchtig waren, dass Flora im Vergleich zu ihnen wie ein bockiger Teenager wirkte. Sie sprach noch leiser, flüsterte fast:
»Weißt du, was ich glaube, Flora? Ich glaube, dass dir die Opferrolle gefällt. Du hast diese Last gern getragen, damit du hinterher die anderen mit Schuldgefühlen und Vorwürfen überhäufen konntest. Aber damit erreichst du nur eins: dass du am Ende ganz allein dastehst. Und genau das ist ja auch passiert, Flora: Alle sind von dir abgerückt, weil sie deine Moralpredigten, dein Herumkommandieren und Manipulieren nicht mehr ausgehalten haben. Niemand hat von dir verlangt, eine Heldin oder Märtyrerin zu sein.«
Flora starrte ins Leere. Sie stützte ihre Ellenbogen auf den Schreibtisch und hielt sich die Hände vor den Mund, als wollte sie sich selbst zum Schweigen bringen. Tatsächlich wartete sie nur auf den richtigen Moment, um ihre Giftpfeile abzuschießen. Als sie das Wort ergriff, hatte sie sich wieder unter Kontrolle, klang sie so bissig wie eh und je.
»Vermutlich bist du nicht hergekommen, um mir zu erklären, was für ein Mensch ich deiner Meinung nach bin. Wenn du also konkrete Fragen hast, dann stell sie jetzt, ansonsten würde ich dich bitten zu gehen, ich habe zu tun.«
Amaia holte eine kleine Schachtel aus ihrer Tasche und nahm den Deckel ab. Bevor sie ihrer Schwester den Inhalt zeigte, sah sie ihr in die Augen.
»Ich brauche dein Expertenwissen. Was ich dir jetzt zeigen werde, ist ein Beweisstück, das wir am Tatort gefunden haben, also bist du zu absolutem Stillschweigen verpflichtet.«
Flora nickte. Ihr Gesicht verriet, dass sie neugierig geworden war.
»Gut, dann schau dir das mal an, und erklär mir, was es ist«, sagte sie und holte das Stück Kuchen heraus, das man auf Annes Leiche gefunden hatte.
»Ein Txantxangorri. Den habt ihr am Tatort gefunden?«
»Ja.«
»Bei allen Leichen?«
»Das darf ich dir nicht sagen.«
»Der Täter hat also einen Txantxangorri gegessen?«
»Nein, er hat ihn am Tatort zurückgelassen, damit wir ihn finden. Das fehlende Stück hier haben wir ins Labor geschickt. Was kannst du mir dazu sagen?«
»Kann ich mal anfassen?«
Amaia reichte ihr den Kuchen. Flora nahm ihn aus der Tüte, hielt ihn an die Nase, schnupperte kurz daran. Dann kratzte sie mit dem Fingernagel ein Stück ab.«
»Ist er verseucht oder vergiftet?«
»Nein, haben wir im Labor gecheckt.«
Flora steckte sich ein kleines Stück in den Mund.
»Aus welchen Zutaten ein Txantxangorri besteht, hat man dir wahrscheinlich schon erklärt.«
»Ja, und ich möchte, dass du mir alles sagst, was man sonst noch wissen kann.«
»Erstklassige Zutaten. Frisch, genau die richtige Mischung. Diese Woche gebacken, ich würde sagen, nicht mehr als vier Tage alt. Der Farbe und Lockerheit nach zu urteilen in einem traditionellen Holzofen.«
»Unglaublich«, sagte Amaia beeindruckt. »Woher weißt du das alles?«
Flora lächelte.
»Bin eben ein Profi.«
Amaia ignorierte den versteckten Vorwurf.
»Wer außer Mantecadas Salazar stellt diesen Kuchen her?«
»Den kann im Prinzip jeder backen. Das Rezept ist kein Geheimnis, steht sogar in meinem Buch, das Originalrezept von Vater. Außerdem ist der Kuchen typisch für die Gegend hier, es muss also Dutzende von Varianten geben. Allerdings kriegt ihn nicht jeder so perfekt hin.«
»Kannst
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