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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Weg musstest du denn gehen, wenn ich fragen darf?«
    »Ich kann dir versichern, dass ich mich ganz schön ins Zeug legen musste, um dahin zu gelangen, wo ich jetzt bin«, erwiderte Amaia in dem leisen, ruhigen Ton, der ihre Schwester auf die Palme brachte.
    »Nur dass du dir deinen Weg selbst ausgesucht hast, während er mir aufgezwungen wurde. Kein Mensch hat mir geholfen, auch du nicht, du bist einfach abgehauen. Víctor hat angefangen zu saufen, und deine Schwester …«
    Amaia schwieg. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatten beide Schwestern ihr diesen Vorwurf gemacht.
    »Du hattest auch die Wahl, du hättest auch machen können, was du wolltest.«
    »Hat mich jemals jemand gefragt, was ich wollte?«
    »Flora …«
    »Nein, sag, wer hat mich gefragt, ob ich hierbleiben und Blätterteig kneten will?«
    »Flora, du hattest die Wahl wie alle anderen auch, aber du hast gewählt, nicht zu wählen. Mich hat auch niemand gefragt. Ich habe meine Entscheidung getroffen und bin meinen Weg gegangen.«
    »Und die anderen waren dir scheißegal.«
    »Das stimmt nicht, Flora, du hörst dich ja gerade so an, als ich hätte ich jemandem schlimmen Schaden zugefügt. Im Gegensatz zu dir und Ros habe ich die Backstube nie gemocht, nicht mal als ich klein war. Wann immer ich konnte, habe ich mich verdrückt. Man musste mich regelrecht zwingen, hier Zeit zu verbringen, das weißt du so gut wie ich. Die Backstube war nichts für mich, also habe ich studiert. Und unsere Eltern waren damit einverstanden.«
    »Mehr oder weniger, zumindest was Mutter angeht. Aber sie konnten es auch locker nehmen, sie hatten ja noch Ros und mich, um die Familientradition fortzuführen.«
    »Du hattest die Wahl.«
    Da brach es aus Flora heraus.
    »Du hast keine Ahnung, was Verantwortung bedeutet«, blaffte sie und deutete mit dem Zeigefinger auf ihre Schwester.
    »Flora, bitte«, wehrte sich Amaia gereizt.
    »Das Bitte kannst du dir sparen! Von euch weiß doch keiner, was Verantwortung bedeutet, du nicht, deine Schwester nicht, und schon gar nicht Víctor, diese Null.«
    »Wie ich sehe, kriegen heute alle ihr Fett weg.« Amaia lächelte müde, wurde aber nach wie vor nicht lauter. »Flora, ich bin nicht mehr das neunjährige Mädchen, das sich aus der Backstube geschlichen hat. In meinem Job muss ich täglich …«
    »Dein Job«, schnitt ihr Flora das Wort ab. »Wer spricht hier von deinem Job? Dein Schwesterchen vielleicht. Ich spreche von der Familie, davon, dass jemand den Betrieb übernehmen musste.«
    »Mein Gott, jetzt klingst du wie Michael Corleone. Das Geschäft, die Familie, die Mafia«, sagte Amaia ironisch.
    Da packte Flora endgültig die Wut. Mit funkelnden Augen sah sie Amaia an, warf den Lappen, den sie in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und ließ sich so heftig auf den Stuhl fallen, dass die Lampe wackelte.
    »Ros und du, ihr habt beide von klein auf Interesse am Konditorhandwerk gezeigt, Stunden habt ihr hier verbracht. Ros wusste schon mit drei, wie man Rosquillas und Magdalenas backt.«
    »Die Leidenschaft war schnell verpufft«, murmelte Flora verächtlich, »nämlich genau in dem Moment, als ihr klar wurde, wie viel Arbeit dahintersteckt. Was meinst du, wie lange sich der Betrieb noch gehalten hätte, wenn wir so weitergemacht hätten wie unsere Eltern? Ich habe hier alles umgekrempelt, modernisiert, konkurrenzfähig gemacht. Weißt du, wie viele Kontrollen man überstehen muss, um europaweit agieren zu können? Geblieben ist einzig der Name Mantecadas Salazar und das Schild, das unsere Großeltern bei der Gründung anbringen ließen.«
    »Sag ich doch, Flora. Nur du konntest diese Vision entwickeln, weil du unseren Betrieb immer geliebt hast.«
    Diesmal antwortete Flora nicht. Ihre Gesichtszüge, in die Verachtung und Engstirnigkeit tiefe Furchen gegraben hatten, entspannten sich und wichen einem Anflug von eitlem Stolz.
    »Es geht hier nicht um Liebe zum Betrieb oder darum, ob ich glücklich bin oder nicht. Jemand musste das Geschäft übernehmen, und die Dumme war wie immer ich. Andererseits war ich auch die Einzige, die es schaffen konnte, weil hier nur ich über gesunden Menschenverstand und Verantwortungsgefühl verfüge. Aber es war eine elende Plackerei. Das Familienerbe musste gerettet werden, der Betrieb, den unsere Vorfahren so mühsam aufgebaut hatten. Der gute Name, die Tradition.«
    »Du redest gerade so, als müsstest du die Last der Welt tragen. Was wäre passiert, wenn du was anderes gemacht

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