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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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und heftig. Natürliche Fehlgeburten heißt das im Fachjargon, als wäre irgendwas Natürliches daran, dass einem die Kinder im Bauch wegsterben. Fünf Fehlgeburten hatte ich, bevor wir uns zur Adoption entschlossen. Damals hatte ich jegliche Hoffnung aufgegeben, selbst ein Kind zu bekommen. Ich wollte einfach nicht mehr, wollte das nicht noch mal durchmachen, konnte mir nicht vorstellen, noch mal so ein blutiges Bündel in den Händen zu halten. An dem Tag, an dem wir Anne zu uns holten, habe ich am ganzen Leib gezittert, so sehr gezittert habe ich, dass mein Mann schon Angst hatte, sie könnte mir aus den Armen rutschen. Erinnerst du dich?«, wandte sie sich an ihren Mann, der stumm nickte. »Auf der Fahrt hierher musste ich sie immerzu ansehen, ihr perfektes Gesicht, sie war so schön, dass es fast unwirklich war. Zu Hause habe ich sie erst mal auf mein Bett gelegt und ausgezogen. Im Bericht stand zwar, dass sie vollkommen gesund war, aber ich war mir sicher, dass sie etwas hatte, einen Makel, einen hässlichen Fleck, irgendwas. Ihren ganzen Körper habe ich abgesucht, aber da war nichts, er war perfekt, ein Wunder, wie aus Marmor.« Amaia erinnerte sich an den leblosen Körper des Mädchens, der sie an eine Madonna erinnert hatte, weil ihre weiße Haut so perfekt gewesen war. »In den folgenden Tagen war ich vollkommen hingerissen. Wenn ich sie in die Arme nahm, war ich so dankbar, dass ich vor lauter Aufregung und Glück geweint habe. In diesen magischen Tagen wurde ich erneut schwanger, aber ich hatte keine Angst mehr, dass ich das Kind verlieren könnte. Schließlich war ich schon Mutter, hatte mit dem Herzen ein Kind geboren, es in meinen Armen ausgetragen. Vielleicht schritt die Schwangerschaft deshalb problemlos voran, weil es nicht mehr mein einziges Lebensziel war, ein Kind zu bekommen. Trotzdem haben wir niemandem davon erzählt. Nach all den Enttäuschungen hatten wir gelernt, dass wir es besser geheim hielten. Aber diesmal wuchs das Kind in meinem Leib heran, und irgendwann war ich im fünften Monat. Der Bauch war schon zu sehen, die Leute fingen an zu reden. Anne war nur ein bisschen älter als dieses Kind in mir, sechs Monate. Sie war wunderschön mit ihrem vollen blonden Haar, das sich an den Schläfen kräuselte, und diesen blauen Augen, diesen langen Wimpern. Ihr Gesicht hatte etwas Strahlendes, Makelloses. Eines Tages ging ich mit dem Kinderwagen los, ich weiß es noch wie heute. Ich hatte ein blaues Kleid an, das ich immer noch habe. Wie stolz ich war, wenn die Leute sich zu ihr runterbeugten und Anne ihnen so fröhlich entgegenlächelte. Unterwegs traf ich eine meiner Schwägerinnen. Sie gab mir einen Kuss und beglückwünschte mich, na also, hat sie gesagt, du musstest dich nur entspannen, um schwanger zu werden, jetzt wirst du endlich ein leibliches Kind bekommen. Ich erstarrte. ›Leiblich oder nicht leiblich, die Hauptsache ist doch, man liebt sein Kind‹, habe ich
    geantwortet. Und sie: ›Na ja, du wirst schon noch sehen: ein Kind aus dem Waisenhaus aufzunehmen ist ja ganz schön, aber selber eins zu kriegen was ganz anderes‹, und dann hat sie mir den Bauch getätschelt. ›Aber bis dahin dauert es ja noch ein Weilchen.‹ Als ich nach Hause kam, war mir schwindlig und übel. Ich nahm mein Kind in die Arme und drückte es an die Brust. Meine Panik wurde immer stärker, von der Stelle, an der diese Hexe mich berührt hatte, breitete sich ein brennendes Gefühl aus. In dieser Nacht wachte ich schweißgebadet auf und wusste sofort, was vor sich ging, dass die feinen Fäden rissen, die mein Kind mit mir verbanden. Während der Schmerz immer schlimmer wurde, spürte ich, wie eine mächtige Kraft mich innerlich verwüstete, mich lähmte, so sehr lähmte, dass ich nicht mal meine Hand zu meinem Mann ausstrecken konnte, der neben mir lag und schlief. Ich konnte nur stumm keuchen. Und dann sprudelte es heiß zwischen meinen Beinen hervor. Der Arzt hat mir den Fötus gezeigt, ein Junge, sein Gesicht war schon gut erkennbar, ganz bläulich, an manchen Stellen fast transparent. Er müsse einen Eingriff vornehmen, hat der Arzt zu mir gesagt, mich ausschaben, weil die Plazenta sich nicht ganz gelöst habe. Ich starrte nur auf das schreckliche Gesicht meines toten Jungen. Er soll mir die Eileiter durchtrennen, habe ich zu dem Arzt gesagt, die Gebärmutter rausschneiden, mein Bauch ist keine Wiege, habe ich gesagt, mein Bauch ist ein Grab. Der Arzt zögerte. Ich könnte durchaus noch Mutter werden,

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