Das Echo dunkler Tage
nach seiner Rückkehr ein Pelotaspielfeld, ein Armenhaus und andere Einrichtungen finanziert hatte. Amaia fand den Namen Calle-del-Sol, Sonnenstraße, nach wie vor treffender, weil er weit zurückreichte, bis in Zeiten, in denen der Mensch noch im Einklang mit der Natur gelebt und das Geld noch nicht die Welt regiert hatte.
Amaias Hirn arbeitete auf Hochtouren. Verzweifelt hatte sie Iriarte mit Fragen bombardiert, der sich jedoch klugerweise geweigert hatte, sich auf Spekulationen einzulassen. Schließlich hatte sie grollend geschwiegen und war einfach neben ihm hergegangen. Als sie ankamen, hielt auch schon der Ford Fiesta von Ros vor der Tür.
»Hallo, Schwester«, grüßte Ros erfreut.
»Ros, lass uns reingehen, ich muss mit dir reden.«
Ros’ Lächeln erstarb.
»Du machst mir ja Angst«, sagte sie und öffnete die Tür. Sie gingen ins Wohnzimmer.
»Setz dich!«, sagte Amaia.
Ros setzte sich an den Kartentisch.
»Wo ist Tante Engrasi?«, fragte Amaia, der plötzlich bewusst geworden war, dass sie ihre Tante nicht gesehen hatte.
»Um Gottes willen, ist ihr was passiert? Sie wollte mit James zu Eroski und ein paar Sachen einkaufen.«
»Nein, mit Tante Erasi ist alles okay. Es geht um Freddy.«
»Freddy?«, wiederholte Ros, als würde sie den Namen zum ersten Mal hören.
»Er hat versucht, sich aufzuhängen, bei sich zu Hause, am Treppengeländer.«
Ros blieb gelassen, zu gelassen.
»Ist er tot?«
»Nein, ein Freund hat ihn zufällig gefunden. Apropos, weißt du, ob Freddy irgendwo einen Schlüssel liegen hatte?«
»Ja, am Eingang, wir haben uns deswegen mehrmals gestritten. Ich war dagegen, dass seine Freunde einfach kommen und gehen konnten, wann sie wollten.«
»Tut mir sehr leid«, flüsterte Amaia.
Ros biss sich auf die Unterlippe und schwieg, starrte an Amaia vorbei ins Leere.
»Ros, ich fahre jetzt nach Pamplona ins Krankenhaus.«
Dass es zwischen Freddys Selbstmordversuch und den Mordfällen vielleicht eine Verbindung gab, erwähnte sie lieber nicht.
»Schreib Tante Engrasi einen Zettel. Und James rufen wir von unterwegs an.«
Ros rührte sich nicht.
»Ich komme nicht mit.«
Amaia, die schon auf dem Weg zur Tür war, blieb stehen.
»Wieso nicht?«, fragte sie ehrlich überrascht.
»Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fehlt dazu die Kraft.«
Amaia sah sie einige Sekunden lang an und nickte dann.
»Kann ich verstehen«, log sie. »Ich ruf dich an, sobald ich mehr weiß.«
»Ja, tu das.«
Als sie ins Auto stieg, das vor dem Haus stand, sah sie Iriarte an.
»Ich kapiere gar nichts mehr«, sagte sie.
Iriarte schüttelte nur den Kopf.
Im Krankenhaus roch es nach Desinfektionsmittel. Außerdem war es in der Eingangshalle zugig und kalt.
»Die Notaufnahme im hinteren Teil wird gerade umgebaut, deshalb zieht es hier so«, erklärte Iriarte.
»Wo ist die Intensivstation?«
»Da lang, neben der Chirurgie. Ich bringe Sie hin, ich war nämlich schon öfter hier.«
Sie folgten einer grünen Linie auf dem Boden, passierten einen Gang nach dem anderen, bis sie auf Zabalza trafen. Der Subinspector führte sie in ein kleines Zimmer, in dem lediglich ein Tisch und sechs Sessel standen. Immerhin waren sie bequemer als die Plastikstühle auf den Fluren.
»Hier können wir ungestört sprechen.«
Zabalza ging noch einmal nach draußen auf den Flur, machte der Aufsicht führenden Krankenschwester ein Zeichen und kam wieder herein.
»Der Arzt wird gleich kommen.«
Er wollte sich gerade setzen, als er sah, dass Amaia stehen blieb. Also holte er schnell sein Notizbuch hervor und begann vorzulesen.
»Heute Mittag gegen ein Uhr traf Alfredo zufällig den Freund, der ihn später fand und den Krankenwagen rief. Dieser Freund hat ausgesagt, Alfredo habe schlecht ausgesehen, als wäre er krank oder hätte große Schmerzen.« Amaia dachte daran, dass sie auf dem Friedhof den gleichen Eindruck gehabt hatte. »Er sei erschrocken gewesen und habe ihn darauf angesprochen, aber Alfredo habe nur etwas vor sich hin gemurmelt und sei weitergegangen. Weil er sich Sorgen machte, ging dieser Freund nach dem Mittagessen bei Alfredo vorbei. Er klingelte, aber weil niemand aufmachte, warf er einen Blick durchs Fenster und sah, dass der Fernseher lief. Er klingelte noch einmal, aber als immer noch keiner aufmachte, nahm er den Schlüssel, den Alfredo immer unter einen Blumentopf legt, damit seine Freunde ihn besuchen können, wann sie wollen, und trat ein. Da fand er ihn, aufgehängt am Treppengeländer. Er rannte
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