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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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schneller. Sie hörte noch, wie ihre Mutter ein paarmal nach ihr rief.
    In der Backstube schlug ihr der süßliche Duft von Anis entgegen. Ihr Vater schleppte Mehlsäcke und stellte sie neben dem Trog ab, in den er sie später ausleeren würde. Plötzlich bemerkte er Amaia und ging zu ihr, klopfte sich das Mehl aus der Schürze und umarmte sie.
    »Was machst du denn für ein Gesicht?«
    »Mama hat mir das Geschenk gegeben«, wimmerte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, sodass sie kaum zu verstehen war.
    »Ist ja gut, mein Schatz, ist ja gut«, tröstete er sie und streichelte ihr über die kurzen Haare, die früher so lang und schön gewesen waren. »So«, sagte er und rückte sie ein Stück von sich weg, um ihr in die Augen sehen zu können, »und jetzt wäschst du dir erst mal das Gesicht ab. Ich habe nämlich auch ein Geschenk für dich.«
    Amaia wusch sich in der Schüssel, die auf dem Tisch stand, ohne ihren Vater aus den Augen zu lassen. Er hielt einen braunen Umschlag in der Hand, auf dem ihr Name stand. Darin war ein funkelnagelneuer Fünftausendpesetenschein. Sie biss sich auf die Lippe.
    »Den wird Mama mir bestimmt wegnehmen«, sagte sie besorgt. »Und mit dir wird sie schimpfen.«
    »Deswegen habe ich mir was überlegt. Schau noch mal in den Umschlag, da ist noch was anderes drin.«
    Amaia sah noch einmal nach, und tatsächlich, da war noch etwas: ein Schlüssel. Sie sah ihren Vater fragend an. Er nahm ihr den Umschlag aus der Hand und leerte den Inhalt auf ihre Hand.
    »Das ist ein Schlüssel für die Backstube. Du kannst dein Geld hier aufbewahren, und wenn du was brauchst, kommst du einfach her, wenn Mama zu Hause ist. Ich habe auch schon mit Tante Engrasi gesprochen, sie wird dir in Pamplona die Hose kaufen, die du dir wünschst. Dieses Geld hier ist nur für dich, damit du dir kaufen kannst, was du willst. Aber du musst klug damit umgehen und darfst nicht alles auf einmal ausgeben, sonst merkt Mama was.«
    Amaia malte sich die Freiheit aus, die dieser Schlüssel für sie bedeutete. Ihr Vater steckte eine dünne Schnur durch das Loch in dem Schlüssel, knotete sie zusammen und fackelte mit einem Feuerzeug die überstehenden Enden ab, damit sie nicht ausfransten. Dann hängte er seiner Tochter den Schlüssel um den Hals.
    »Dass mir die Mama ihn ja nicht sieht. Und wenn, dann sagst du, es ist ein Haustürschlüssel von Tante Engrasi. Schließ immer schön ab, dann kann nichts passieren. Den Umschlag kannst du hinter den Karaffen verstecken, die Essenzen benutzen wir schon seit Jahren nicht mehr.
    In den folgenden Tagen hortete Amaia in ihrer Schultasche die kleinen Schätze, die sie sich nach und nach von ihrem Geld kaufte, meist Sachen aus dem Papierwarengeschäft. Ein Notizbuch mit einem Einband, auf dem ein wunderschöner Pierrot in einem abnehmenden Mond saß; ein Kugelschreiber mit Blumenmuster; Tinte, die nach Rosen duftete; ein Stoffmäppchen, das aussah wie der obere Teil einer Hose, mit Taschen und Reißverschluss; ein Stempel in Herzform, dazu drei Schachteln mit Tinte in unterschiedlichen Farben.

19
    U m vier Uhr nachmittags empfing Annes Vater Amaia und Iriarte im Wohnzimmer. Es war peinlich sauber und wimmelte nur so von Fotos des Mädchens. Abgesehen von dem leichten Zittern der Hand, als er Kaffee einschenkte, wirkte er gefasst.
    »Sie müssen meine Frau entschuldigen, sie hat eine Beruhigungstablette genommen und sich hingelegt. Sollte es nötig sein …«
    »Nein, nein, wir wollen nur ein paar Fragen stellen, dafür brauchen wir Ihre Frau nicht zu stören«, sagte Iriarte, dessen Stimme seine Emotionen verriet. Amaia erinnerte sich an seine Reaktion, als er Anne am Fluss erkannt hatte. Annes Vater lächelte, wie sie es schon oft gesehen hatte: wie ein gebrochener Mensch.
    »Geht es Ihnen wieder besser? Ich habe Sie auf dem Friedhof gesehen …«
    »Ja, danke, es war der Kreislauf, der Arzt hat mir diese Tabletten verschrieben.« Er zeigte auf eine Schachtel. »Und ich soll keinen Kaffee trinken.« Er lächelte wieder und sah zu den dampfenden Tassen auf dem kleinen Tisch.
    »Was können Sie uns über Anne sagen, Señor Arbizu?«
    »Nur Gutes. Sie müssen aber wissen, dass wir Anne nicht auf natürlichem Wege bekommen haben.«
    Amaia fiel auf, dass er nicht »Anne war nicht unsere leibliche Tochter« gesagt hatte.
    »Seit wir sie zu uns geholt haben, war sie unser großes Glück. Sie war ein goldiges Kind. Schauen Sie mal!«
    Er zog ein gerahmtes Foto unter einem Kopfkissen

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