Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
Vom Netzwerk:
leicht, als stünde es unter Strom. Der Kommissar stellte sich ans Fenster und sah eine Minute lang schweigend nach draußen. Dann atmete er hörbar aus und fragte:
    »Was könnte dieser Mann mit unserem Fall zu tun haben?«
    Es war nicht klar, an wen die Frage gerichtet war. Amaia sah Iriarte an, der wiederum sie ansah.
    »Wir wussten, dass Anne Arbizu bis vor kurzem ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte, aber wir wussten nicht, mit wem. Auch in ihrem Computer und in ihren Tagebüchern haben wir bisher keinen Hinweis gefunden. Inzwischen glaube ich, dass es Freddy war. Andererseits passt er überhaupt nicht in unser Täterprofil. Er ist chaotisch, faul und unorganisiert, ganz im Gegensatz zu unserem systematisch vorgehenden Täter. Und in einem bin ich mir sicher: Annes Mörder ist auch der Mörder der anderen Mädchen.«
    »Was meinen Sie, Iriarte?«
    »Ich teile die Meinung von Inspectora Salazar voll und ganz.«
    »Mir ist zwar nicht wohl dabei, aber ich gebe Ihnen achtundvierzig Stunden, um die Alibis zu überprüfen. Sollten Sie bis dahin Alfredo Belarrain von der Liste der Verdächtigen streichen können, ist alles in Ordnung. Wenn es aber auch nur den leisesten Hinweis darauf gibt, dass er irgendetwas mit diesem oder den anderen Morden zu tun hat, muss ich Ihnen den Fall entziehen. Dann würde Inspector Iriarte die Ermittlungen weiterführen, das habe ich bereits mit dem Comisario in Elizondo besprochen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe noch einiges zu tun.« Er öffnete ihnen die Tür. Bevor er sie wieder schloss, sagte er noch einmal: »Achtundvierzig Stunden.«
    Amaia atmete langsam aus, bis alle Luft aus ihren Lungen entwichen war.
    »Danke, Iriarte«, sagte sie.
    Er lächelte nur und sagte:
    »An die Arbeit!«
    Es war bereits dunkel, als sie bei Engrasi eintrafen. In ihrem Wohnzimmer war die fröhliche Damenbande durch eine Art Totenwache ohne Toten ersetzt worden. James saß am Feuer und sah so besorgt aus, wie Amaia ihn noch nie erlebt hatte. Engrasi saß auf dem Sofa und neben ihr Ros, die seltsamerweise von allen drei die ruhigste zu sein schien. Jonan Etxaide und Fermín Montes hatten am Spieltisch Platz genommen. Als sie eintraten, stand Engrasi auf.
    »Wie geht es ihm, mein Kind?«, fragte sie, wusste aber nicht so recht, ob sie zu Amaia gehen oder stehen bleiben sollte. Amaia nahm sich einen Stuhl und rückte ihn bis auf wenige Zentimeter an Ros heran. Bevor sie antwortete, sah sie ihre Schwester eindringlich an.
    »Schlecht. Das Seil hat seine Luftröhre zerquetscht und hätte ihm beinahe das Genick gebrochen. Außerdem ist sein Rückenmark beschädigt. Er wird wahrscheinlich nie wieder gehen können.«
    Engrasi und James stöhnten auf, aber Amaia ließ sich nicht davon ablenken, sondern sah unverwandt Ros an. Die blinzelte nur leicht und presste kurz die Lippen aufeinander. Mehr nicht.
    »Ros, warum bist du nicht ins Krankenhaus gefahren? Warum hast du deinen Ehemann nicht besucht? Immerhin hat er versucht, sich das Leben zu nehmen, weil du ihn verlassen hast.«
    Ros hielt ihrem Blick stand und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
    »Du hast es gewusst«, sagte Amaia.
    Sie schluckte, was sie große Mühe zu kosten schien.
    »Ich wusste, dass er eine andere hatte«, gab sie schließlich zu.
    »Und wusstest du auch, dass es Anne war?«
    »Nein, aber dass er eine andere hatte, war nicht zu übersehen. Wie aus dem Lehrbuch: Er war euphorisch, rauchte keine Joints mehr, trank nicht mehr, duschte sich dreimal am Tag und benutzte plötzlich das Kölnischwasser, das ich ihm vor drei Jahren an Weihnachten geschenkt hatte. Da hätte auch die Dümmste gemerkt, dass er was mit einer anderen hatte.«
    »Du wusstest, mit wem.«
    »Nein, wusste ich nicht, ich schwör’s. Ich wusste nur, dass es aus war. An dem Tag, an dem ich meine Sachen geholt habe, hat er geheult wie ein kleines Kind. Immer wieder hat er verzweifelt sein Gesicht in ein Kissen gedrückt, man konnte ihn kaum verstehen. Ich dachte schon, seine Mutter oder eine seiner Tanten … Dann beruhigte er sich etwas, meinte, es sei alles seine Schuld, dass es jetzt aus sei, er habe nie jemanden so geliebt, darüber werde er nie hinwegkommen. Ich dachte erst, er redet von uns. Und dann sagt dieses Arschloch: ›Ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt wie sie.‹ Ich hätte ihn umbringen können.«
    »Hat er dir da gesagt, wer die Frau war?«
    »Nein«, flüsterte Ros.
    »Warst du heute bei dir zu

Weitere Kostenlose Bücher