Das Echo dunkler Tage
darum kämpfen, die Fassung zu bewahren.
»Er war’s«, sagte sie.
»Wer?«, fragte Amaia.
Inés Lorenzo sah zu ihrer Tochter, die fast auf dem Tisch lag und malte. Dann sah sie wieder Amaia an.
»Mein Mann. Mein Mann hat meine Tochter ermordet.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich wusste es schon die ganze Zeit, aber ich wollte es nicht wahrhaben.
Mein erster Mann starb kurz nach Johanas Geburt. Ich bin nach Spanien ausgewandert, mit kaum mehr als dem, was ich auf dem Leib trug. Dort habe ich meinen zweiten Mann kennengelernt. Wir haben geheiratet, und er hat mein Mädchen großgezogen, als wäre es sein eigenes. Alles war in Ordnung. Doch plötzlich fing Johana an, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich dachte, es wäre die Pubertät. Johana war bildhübsch, Sie haben sie ja gesehen, und mein Mann war der Meinung, dass man ein Auge auf sie haben müsse, von wegen in dem Alter würden Mädchen anfangen, mit Jungs rumzumachen. Dabei war Johana brav, hat nie Probleme gemacht. Sie war gut in der Schule, die Lehrer waren mit ihr zufrieden, Sie können sie gern fragen, wenn Sie wollen.«
»Nicht nötig«, erwiderte Amaia.
»Sie war kein bockiger Teenager, ganz im Gegenteil, sie half im Haushalt mit, passte auf ihre kleine Schwester auf. Aber er hat sie immer mehr bedrängt, hat kontrolliert, wann sie geht und wann sie kommt. Sie hat sich beschwert, aber ich habe ihn machen lassen, weil ich dachte, er sei wirklich um sie besorgt. Mir ist schon aufgefallen, dass er es manchmal übertrieben hat, und das habe ich ihm auch gesagt, aber er war wie besessen von dem Thema. Wenn wir jetzt die Zügel locker lassen, hat er gesagt, dann kommt sie uns eines Tages schwanger nach Hause. Ich habe mich davon anstecken lassen. Andererseits hat es mir gar nicht gefallen, wie er sie angesehen hat. Trotzdem habe ich nur einmal was gesagt, als Johana einen Minirock trug und sich zu ihrer Schwester runterbeugte. Wie er sie da angestarrt hat, da wurde mir richtig schlecht. Wissen Sie, was er geantwortet hat? Genau so starren die Männer deine Tochter an, wenn sie rumläuft wie ein Flittchen. Plötzlich war sie nicht mehr unsere Tochter, sondern nur noch meine. Und mir fiel nichts Besseres ein, als sie auf ihr Zimmer zu schicken, damit sie sich was anderes anzieht.«
Amaia sah zu Padua, bevor sie die Frage stellte.
»Ihr Mann hatte Ihre Tochter also anzüglich angeschaut, aber was veranlasst Sie zu der Vermutung, dass er etwas mit ihrem Tod zu tun haben könnte?«
»Sie haben ihn nicht erlebt. Sein Kontrollwahn ging so weit, dass er sich ein Handyortungssystem besorgt hat, um jederzeit zu wissen, wo sie war. Als sie verschwand, habe ich ihn gebeten, sie damit aufzuspüren. Und was sagt er? Ich habe es abgemeldet, sagt er, ist ja nicht mehr nötig, deine Tochter können wir abschreiben, die ist von zu Hause abgehauen und kommt garantiert nicht zurück. Ist auch besser so. Für alle.«
Amaia klappte eine Mappe auf, die ihr Teniente Padua reichte.
»Johana ist an einem Mittwoch verschwunden, und Sie haben sie am nächsten Tag als vermisst gemeldet. Trotzdem haben Sie am Montag auf dem Revier angerufen und behauptet, Ihre Tochter sei zu Hause aufgetaucht, um ihren Personalausweis, Kleidung und etwas Geld abzuholen. Sie haben gesagt, sie sei mit einem Jungen zusammen. Ist das korrekt?«
»Ja, weil er mich dazu gedrängt hat. Er war es auch, der mir erzählt hat, dass sie da gewesen ist. Warum hätte ich ihm nicht glauben sollen? Johana hatte schon mehrmals bei einer Freundin übernachtet, wenn er sie mal wieder ausgeschimpft hatte. Anfangs war ich überzeugt davon, dass sie zurückkommen würde. Sie kommt wieder, habe ich zu ihm gesagt, und weißt du, warum? Weil sie ihre Plüschmaus nicht mitgenommen hat, die hat sie nämlich über alles geliebt. Und ich wusste ganz genau: Wenn meine Kleine jemals von zu Hause abhaut, wird sie auf jeden Fall ihr Nagerchen mitnehmen, wie sie sie genannt hat. Aber als ich an dem Montag gesehen habe, dass die Maus nicht mehr auf dem Bett lag, war das ein schwerer Schlag für mich, und ich habe ihm geglaubt.«
»Was hat Sie dazu bewegt, am Dienstag trotzdem wieder auf dem Revier zu erscheinen und darauf zu drängen, dass man Ihre Tochter sucht?«
»Die Kleidung. Teenager sind da ziemlich eigen, und ich kannte sie gut. Als ich sah, welche Kleidungsstücke fehlten, war mir sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Ihre Lieblingsjeans war noch da, bei manchen Sachen fehlte nur ein
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