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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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dachte nach.
    »Ich bin nicht ganz überzeugt«, wandte Iriarte ein.
    »Was ist anders?«
    »Abgesehen vom Alter passt das Mädchen nicht ins Profil. Ihre Kleidung – Jeans und Fleecejacke – hat etwas Kindliches. Sie war zwar aufgeschlitzt und zur Seite geklappt, aber es wirkt so, als hätte der Täter es erst nachträglich gemacht. Er ist grober vorgegangen, hat die Sachen regelrecht zerfetzt, aber andererseits die Schuhe nicht ausgezogen, normale Sportschuhe nebenbei gesagt; vieles deutet darauf hin, dass das Mädchen vergewaltigt wurde, aber der Täter hat ihr nicht das Schamhaar rasiert. Die Hände … Die Hand ist verkrampft, die losen Fingernägel zeigen, dass sie sich gewehrt hat, und diese halbmondförmige Wunde auf ihren Handflächen deutet darauf hin, dass sie sich die Fingernägel ins Fleisch gebohrt hat«, erklärte Iriarte. »Und dann ist da noch der amputierte Arm.«
    »Was sagt uns der Fundort?«
    »Diesmal kein Fluss, also kein offenes Gelände, keine freie Natur, kein Symbol für Reinheit, sondern ein geschlossener Raum, noch dazu schmutzig und verwahrlost.«
    »Wer kann diese Hütte kennen?«, fragte Amaia Teniente Padua.
    »Jeder, der öfter in den Bergen unterwegs ist, Jäger, Wanderer, aber auch Leute, die dort picknicken. Oder gepicknickt haben, bis im Winter das Dach eingesackt ist. Dem Müll nach zu urteilen wurde die Hütte noch bis vor kurzem benutzt.«
    »Die Todesursache, Doktor?«
    »Da hat sich mein erster Eindruck bestätigt: Sie wurde mit den Händen erwürgt. Die Schnur wurde später um den Hals gelegt, als die Leichenblässe schon eingesetzt hatte. Außerdem war sie verknotet, und die Marke stimmt auch nicht überein.«
    »Ist es denkbar, dass der Mörder noch mal zurückkam, um der Leiche die Schnur um den Hals zu legen? Weil er in der Zeitung was darüber gelesen hat?«, fragte Amaia in die Runde.
    »Man hat schon den Eindruck, dass wir es mit einem Nachahmungstäter zu tun haben.«
    »Oder mit jemandem, der die Gelegenheit nutzen wollte. Ein Nachahmungstäter ahmt die Inszenierung eines anderen Mörders nach, sozusagen als Hommage. Hier scheint eher jemand sein Verbrechen einem anderen in die Schuhe schieben zu wollen.«
    San Martín beugte sich erneut über die Leiche und entnahm dem Inneren der Vagina eine Probe.
    »Das ist Sperma«, erklärte er und übergab das Wattestäbchen seinem Assistenten, der die Probe isolierte und etikettierte. »Die Scheidenwände weisen Risse auf, auch leichte Blutungen, die stoppten, als der Tod eintrat. Wahrscheinlich wurde sie während der Vergewaltigung getötet, denn das Blut ist nicht nach außen geflossen. Oder das Mädchen war schon tot, als sie vergewaltigt wurde.«
    Amaia trat näher an die Leiche heran.
    »Was können Sie mir zu der Amputation sagen?«
    »Auf jeden Fall post mortem, es ist kein Blut ausgetreten. Ausgeführt wurde sie mit einem extrem scharfen Gegenstand.«
    »Andererseits ist das Fleisch am oberen Teil ausgefasert.«
    »Ist mir auch aufgefallen. Ich würde auf den Biss eines Tieres tippen. Wir haben einen Abdruck gemacht, den muss ich mir erst genauer ansehen.«
    »Was ist mit der Schnur?«
    »Man sieht auf den ersten Blick, dass es eine andere Marke ist. Sie ist dicker, mit Plastik umhüllt, eine Wäscheleine, würde ich sagen. Das können Sie natürlich besser beurteilen als ich, aber ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich, dass der Täter plötzlich eine andere Schnur benutzt.«
    Die Assistenten entfernten die letzten Kleidungsstücke. Die Leiche lag jetzt entblößt im kalten Neonlicht. Wie zu erkennen war, bildeten die Totenflecken eine bläuliche Karte auf Rücken und Schultern, auf Hintern und Waden, überall dort, wo sich das Blut aufgrund des Eigengewichts angesammelt hatte, als das Herz nicht mehr schlug. Der Körper war entstellt, die Pubertätsmerkmale kaum noch erkennbar. Als die Leiche abgeduscht und das Gesicht vom Schmutz gesäubert war, wurde sichtbar, dass sie mehrfach geschlagen worden war, denn eine Stelle war stark geschwollen und ein Zahn saß locker. San Martín zog ihn mit einer kleinen Zange und forderte Jonan auf, näher zu kommen. Das Gemisch aus Parfüm- und Verwesungsgeruch war übelkeiterregend. Jonan war blass, starrte unverwandt das Gesicht des Mädchens an, hielt sich aber wacker. Er amtete ruhig und regelmäßig, stellte ab zu sogar eine technische Frage.
    Amaia dachte an die vielen Fernsehserien, in denen mit Hilfe von Autopsien und DNA-Analysen Fälle quasi über Nacht gelöst

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