Das Echo dunkler Tage
über sie gehört, die Starinspektorin, die beim FBI gewesen war. Eine arrogante Ziege, die zu erwarten schien, dass alle vor ihr einen Bückling machten. Ihm war klar, dass er bei der Sache mit ihrer Schwester ins Fettnäpfchen getreten war. Seit sie hier war, schien selbst Iriarte solchen Sachen größere Bedeutung beizumessen. Und dann hatte sie sich auch noch auf Montes eingeschossen, einen Mann der alten Schule, der ihm schon deshalb sympathisch war, weil er genügend Mumm hatte, sich von der Starinspektorin nicht alles gefallen zu lassen. Er war frustriert, weil die Ermittlungen nicht vorankamen. Und die scheinbaren Geistesblitze der Inspectora Salazar gingen ihm auf die Nerven, zumal sie in seinen Augen praktisch alles falsch machte. Er fragte sich, wie lange der Comisario das noch mitansehen würde.
Amaia betrachtete weiterhin die Bilder aus der Hütte. Neben dem Kamin lehnte ein altmodischer Strohbesen und verdeckte einen kleinen Müllhaufen. Sie zoomte das Foto größer, bis sie bestätigt fand, was sie zu sehen meinte. Sie rief bei Johanas Mutter an, die sich mit weinerlicher Stimme meldete.
»Guten Abend, Inés, ich bin’s, Inspectora Salazar.«
Amaia hörte sich erst geduldig an, was Inés entdeckt hatte: dass Geld fehlte, dass der Pass weg war. Inés redete wie ein Wasserfall, erregt wie jemand, der seinen Verdacht bestätigt sah. Als sie sich etwas beruhigt hatte, ergriff Amaia das Wort.
»Das wusste ich alles schon, Teniente Padua hat mich vor einer halben Stunde angerufen. Ich würde Sie gern etwas anderes fragen. Ihr Mann ist doch Automechaniker?«
»Ja.«
»War er das schon immer?«
»In der Dominikanischen Republik ja, aber als er hierherkam, fand er anfangs keinen Job in seinem Beruf, also hat er Tiere gehütet.«
»Was für Tiere?«
»Schafe. Manchmal war er tagelang in den Bergen unterwegs.«
»Ich möchte, dass Sie überall nachsehen, wo Sie Lebensmittel aufbewahren, im Kühlschrank, in den Küchenschränken, in der Speisekammer. Und dann sagen Sie mir, ob was fehlt.«
Offenbar handelte es sich um ein schnurloses Telefon, denn Amaia hörte erregtes Atmen und eilige Schritte.
»Er hat alle Lebensmittel mitgenommen!«
Amaia beendete das Gespräch so höflich wie möglich und rief sofort Padua an.
»Er hat nicht vor, das Land zu verlassen, zumindest nicht auf dem üblichen Weg. Er hat Proviant für mehrere Wochen bei sich und hält sich wahrscheinlich in den Bergen auf, die er kennt wie seine Westentasche, weil er mal Schäfer war. Wenn er das Land verlassen will, dann über die Pyrenäen. Und die Hütte kannte er auch. Ich habe auf einem der Fotos Schafskot entdeckt, zusammengefegt in einer Ecke neben dem Kamin. An Ihrer Stelle würde ich mich mit seinem ehemaligen Chef in Verbindung setzen, laut Inés ein Viehzüchter in Arizkun. Der kennt bestimmt alle Routen und Unterschlupfe. Und die Ranger zu verständigen ist bestimmt auch nicht verkehrt.«
Padua schwieg, aber Amaia konnte förmlich spüren, dass er sich gedemütigt fühlte. Obwohl sie wütend war und er seinen Job nicht gut erledigt hatte, würde sie nicht noch weiter auf ihn einhacken, dafür steckte sie selber zu sehr fest.
»Das bleibt alles unter uns, Teniente.«
Padua murmelte ein Danke und legte auf.
31
I ch bin doch nur ein kleines Mädchen«, flüsterte sie. »Warum hast du mich nicht lieb?« Sie lag am Ufer, der mineralische Geruch des Flusses stieg ihr in die Nase, kalt drückten ihr die Steine in den Rücken. Der Mörder beugte sich über sie, teilte ihre blonden Haare in zwei Hälften, sodass ihre Brust entblößt war. Sie suchte seinen Blick, flehte verzweifelt um Gnade. Das Gesicht näherte sich ihr, kam so dicht heran, dass sie den jahrtausendealten Geruch nach Wald, Fluss, Stein riechen konnte. Sie sah ihm in die Augen, entdeckte aber dort, wo die Seele hausen sollte, nur zwei schwarze, unergründliche Löcher. Sie wollte schreien, das Entsetzen herausschreien. Aber sie konnte ihren Mund nicht öffnen, weil sie tot war. So war der Tod, wenn man ermordet wurde: ein ewiger Versuch, das Entsetzen herauszuschreien. Er sah ihre Angst, ihren Schmerz, ihre Verdammnis und begann zu lachen, immer stärker zu lachen, bis sein Lachen die ganze Luft erfüllte.
»Du brauchst keine Angst vor deiner Mutter zu haben, du kleine Ratte. Ich werde dich schon nicht fressen.«
Das Telefon auf dem Nachttisch brummte wie eine Stichsäge. Erschrocken setzte sich Amaia auf. Sie strich sich die nassgeschwitzten Strähnen aus
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