Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling
zusammen. Die gegenseitige Zustimmung der Liebenden zur Trennung (so überlegte ich) war eine gute Methode, die »intime Verbindung mit einem zufälligen Partner« - wie das angenehme Ereignis in der furchtbaren Beamtensprache von Echo heißt - mit einem romantischen Nimbus zu umgeben.
Ich saß grübelnd über den Informationen, die ich von Melifaro bekommen hatte, und stellte betrübt fest, wie sehr es mich in den Stadtteil Rendezvous zog. Oje - wie würden meine Knie zittern, was für einen Unsinn würde ich mir zusammenstottern und wie sehr würde ich unter den Achseln schwitzen! Aber im Bett würde ich mich dann hoffentlich von meiner besten Seite zeigen ... Das war wirklich eine ungewöhnliche Art, einander kennenzulernen. Vielleicht wäre mir ja eine vorzeitig gealterte, zahnlose Riesin mit Elefantenbeinen als Partnerin bestimmt. Dann würde ich mich fragen müssen, wie ich bis zum nächsten Morgen überlebe. Also sollte ich vielleicht doch nicht in diesen Stadtteil gehen, sondern mich auf erprobte Methoden des Kennenlernens beschränken, denn diese Methoden verachtete die holde Weiblichkeit ja auch nicht.
Nachdem ich meine Entscheidung getroffen hatte, überlegte ich, wie ich die Zeit totschlagen konnte. Mein einziger möglicher Gesprächspartner - unser Buriwuch Kurusch - hatte den Kopf unter die Federn gesteckt und döste. Also nahm ich ein Buch zur Hand, das Sir Juffin im Sessel vergessen hatte. Es handelte sich um Die Philosophie der Zeit von einem gewissen Sir Sobroch Chesom. Sündige Magister! Wofür sich die Leute so interessieren!
Meine Nacht war übrigens gar nicht angenehm. Nichtstun, fruchtlose Gedanken über den Stadtteil Rendezvous und philosophische Literatur können einen schneller auf die Palme bringen als alle Tricks unserer tollen Verfolgungsmeisterin Lady Melamori.
Der Morgen hingegen brachte eine Veränderung zum Besseren. Sir Kofa Joch unterhielt mich mit ein paar pikanten Anekdoten. Juffin hatte sich entschieden, bis zum Mittagessen daheimzubleiben, meldete sich aber per Stummer Rede bei mir, um Guten Morgen zu sagen. Gleich darauf meldete sich auch Melifaro und bat mich, auf ihn zu warten, damit ständig wenigstens ein leitender Mitarbeiter unserer Behörde im Büro war. Ich erhob keine Einwände, da ich ohnehin nicht nach Hause gehen wollte, ohne Lady Melamori gesehen zu haben. Ich vermutete, sie habe bestimmt ein schlechtes Gewissen, und ich wäre ein Dummkopf gewesen, wenn ich diese günstige Gelegenheit nicht zu nutzen versucht hätte.
Schließlich erschien die Lady. Sie trieb sich ein wenig im Saal der allgemeinen Arbeit herum, machte aber keine Anstalten, mich zu besuchen. Weil die Tür meines Büros einen Spalt weit geöffnet war, konnte ich ein paar Seufzer von ihr hören, die allerdings ein wenig zu laut waren, um natürlich zu wirken. Nachdem ich dieses Konzert richtiggehend genossen hatte, meldete ich mich per Stummer Rede im Fressfass und bestellte Kamra für zwei und viel Gebäck. Binnen Minuten waren die Sachen geliefert. Als der Bote die Tür öffnete, sprang Lady Melamori in eine ferne Ecke des Saals, um nicht in mein Blickfeld zu geraten. Sie hörte das Klirren von Geschirr, und ihr stockte der Atem.
Als der Bote mit leerem Tablett gegangen war, rief ich laut durch die ein wenig geöffnete Tür: »Glauben Sie, ich leide an Persönlichkeitsspaltung, nur weil ich mir ein Tablett mit zwei Krügen Kamra ins Büro bringen lasse? Ich brauche Hilfe, meine Teuerste!«
»Soll der zweite Krug Kamra etwa für mich sein, Sir Max?«
»Ich hatte ihn eigentlich für meine allerliebste Urgroßmutter gedacht, doch die hat heute nicht zu kommen geruht ... Ich bin Ihnen nicht mehr böse, und die Kamra wird allmählich kalt.«
Lady Melamori kam an meine Tür. In ihrer bezaubernden Miene standen zwei einander widerstreitende Gesichtsausdrücke: Schuldbewusstsein und Zufriedenheit.
»Juffin hat Ihnen verraten, dass ich mit Ihnen experimentiert habe. Hätte er doch geschwiegen! Ich bin ohnehin schon diskreditiert genug«, murmelte sie und setzte sich.
»Niemand hat Sie diskreditiert, Lady Melamori. Ich bin bloß nicht so leicht auszuhorchen. Aber nehmen Sie das nicht allzu ernst. Meine kluge Mutter hat immer gesagt, wenn ich jeden Morgen einen Löffel Lebertran trinke, bleibe ich gesund und werde groß, und niemand kann mir auf die Spur treten. Wie Sie sehen, hatte sie recht.«
Mein Herz befahl mir, Lady Melamori gegenüber großzügig zu sein, doch offen gestanden erhoffte ich mir
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