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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wie leichter Gischt um seine Bartstoppeln, er lächelt wie eine Sonne. «Gutt», sagt er und schwenkt den Becher, «sehr gutt. Krieg nix gutt.»
    Wie durch Zauberei scheint die Neuigkeit von dem Alkoholfund durch die ganze Villa gedrungen zu sein, ein russischer Soldat nach dem andern kommt hereingestampft und will einen Tropfen abhaben. Die Stimmung steigt fortgesetzt, jetzt wird hier ein Fest gefeiert, und sie kommen auf den Einfall, sich waschen zu wollen. Drinnen im «Eßzimmer» des Kellers stehen sechs Kerle und seifen sich ein, lachen und treiben ihren Unfug und planschen mit unserm kostbaren Wasservorrat – sie sind gar sehr verschieden von Aussehen, und wir lernen daraus sogleich, daß die Rote Armee sehr bunt zusammengesetzt ist. Am angenehmsten ist ein dicker blonder Bursche mittleren Alters mit einem gutmütigen Gesicht, er wiederholt wieder und immer wieder: «Vojna (der Krieg) nix gutt, Berlin kaputt. Gitler kaputt» (das H können die Russen ja nicht aussprechen). Am wenigsten angenehm ist der forsche, deutschsprechende Adjutant, der so wunderhübsch damit begann, uns zu versichem, daß er an Gott glaube, der aber einen scharfen Ton hat und schnell bereit ist, am Revolver zu fingern, falls er nicht rasch genug Antwort erhält. «Hilfe, Hilfe!» schreit eine Stimme aus dem Nachbargarten, irgendein verwundeter Soldat? «Die Deutschen sind Schweine», sagen die Russen, «sie sorgen nicht für ihre Verwundeten.»
    Im Keller wird es immer lustiger, die Kiste ist ergiebig, die Waren sind erstklassig. Einzelne von den russischen Soldaten sind selig berauscht und fangen an, einzunicken. Der Adjutant hält Ordnung und kommandiert sie aus dem Keller nach oben. Die Flaschen unter den Arm geklemmt, steigen sie empor, die Treppen hinauf in die zweite Etage, um sich in die Betten zu legen. «Hilfe, Hilfe!» schreit die Stimme aus dem Nachbargarten. Wir sitzen da und können nichts tun. Die Stunden verrinnen. Langsam graut ein neuer Tag. Die Russen schnarchen.
    *
    Der Bankdirektor Dr. Schmidt
Berlin-Lichterfelde
    Gegen 8 Uhr betreten die ersten Russen unser Haus. Mit vorgehaltener M.P. Frage: Uhr? Parabell? (Pistole). Deutsche Soldaten hier? Nach 10 Minuten kommt der nächste Trupp. Wieder die gleichen Fragen, vor allem immer wieder sehr drohend die Forderung nach Uhren.
    Dann im Laufe des Vormittags geht es richtig los. Eine Truppe hat bei mir die beiden Weinschränke aus dem Keller geholt, schlägt sie vor dem Hause auf. Ich ahne Fürchterliches. Zum Glück fährt ein Wagen vor und lädt das meiste auf. Aber es bleibt genug hier, um viele betrunken zu machen. Einer hat fast eine ganze Flasche Cognac allein getrunken undliegt besinnungslos in meinem Vorgarten. Bei Frau F. im Hause beginnt ein Gelage mit meinem Wein. Bald hören wir Gröhlen und Klavierspiel. So geht es weiter. Ein Trupp nach dem anderen. Immer die gleiche Frage nach Schnaps und Uhren.
    Auf die Garageneinfahrt fährt eine Feldküche, die Leute beginnen in unserer Waschküche sich häuslich einzurichten. Holen aus allen Kellern Kartoffeln heraus, das andere haben sie selber.
    Einer kommt mit des Nachbars Hühnern. Braten für zwei Offiziere, die dann im Esszimmer tafeln. Wir müssen uns dazu setzen und werden aufgefordert, mitzuessen. Dazu Cognac aus meinem Keller, Hennessy. Den mögen sie, der Rheinwein wird ziemlich verächtlich abgelehnt: nix gut, nix stark.
    Die ersten Unterhaltungen, der eine oder andere kann etwas deutsch. Drohungen gegen Hitler natürlich, der das friedliebende Russland mit Krieg überzogen hat. Aber jetzt ist in ein paar Tagen Berlin kaputt, und dann ist der «woina» zu Ende, und es geht nach Hause. Das wird häufig wiederholt, ebenso häufig aber auch der Hinweis darauf, was die deutschen Soldaten in Russland für Schandtaten begangen haben. [...]
    Den ganzen Tag streifen die Trupps durch alle Häuser. Ich höre aus dem meinigen Krachen vom Einschlagen der Türen oder Möbel. Wie der nächste Tag lehrt, habe ich richtig gehört. In der Dämmerung kommt plötzlich Frau F. angstgehetzt mit ihrer Schwägerin über die Straße zu uns gerannt. Also auch das stimmt, dass die Frauen nicht sicher sind. Ich verstecke die Beiden zunächst im Heizungskeller. Der Koch von der Feldküche beginnt auch bald mit Andeutungen, er redet auf mich ein und zeigt auf Eva. Wir machen zwei gutartige Männer aus, denen wir unsere Angst anvertrauen. Sie versprechen, dass nichts geschehen soll.
    Um 11 Uhr ziehen wir uns mit den Frauen und Kindern in

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