Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
mit einer riesigen Maschinenpistole, der andere ganz weißblond, mit einem schönen Gewehr, auf das er sich stützte. Sie gingen dann in mein Zimmer, und der kleine Schwarze setzte sich auf das Sofa. Auf dem Tisch lag ein klitzekleines Kartenspiel von Sibylle. Er nahm es gleich in die Hände, murmelte was von: Kinder und mischte und schaute mich bittend an und wollte es offenbar haben. Dann besah er sich meine Bücher, die auf dem Tisch lagen, es lag da zufällig, von Bernard Shaw: Wege zum Kapitalismus und Sozialismus für die intelligente Frau, oder so ähnlich heißt es, was mir B. geliehen hatte. Darüber schnatterten sie lange. Ich fragte den Schwarzen, was er da für ein Abzeichen trage, und sie erklärten, das bedeute die Zugehörigkeit zur NKDW = SS, so sagten sie. Überhaupt war ich bemüht um ein dauerndes Gespräch, hatte auch gar keine Angst. Sie fragten mich, ob ich Polin sei. Und dann schielten sie nach meiner Handtasche, aber alles so halb verlegen und gingen auch nicht dran, fragten, ob ein Mann im Hause, und fanden dann noch den Luftschutz-Helm, worüber sie dann sehr empört taten, aber eine Erklärung begriffen, das Hakenkreuz darauf mit dem Nagel wegkratzten und wirklich böse erklärten, damit sei es nun aus. Dann gingen sie vorne hinaus, «auf Strass». Die übrigen Hausbewohner hatten sich mucksstill verhalten. Das war meine längste Unterredung mit Russen.
Als sich die meisten verzogen hatten, ging ich hinten heraus zu Conradus,um mich mal umzusehen. Dort war alles in wilder Aufregung. Die Frauen trugen alle schwarze Kopftücher und sahen wie Nonnen aus, und als ich dann hörte, was überall passiert war, knickten mir die Knie doch. Keiner wollte mir zunächst glauben, daß bei uns alles so ruhig verlief. Es war allen unbegreiflich, und ich konnte es zunächst auch nicht verstehen. Überall war geplündert worden, alles durchwühlt, die Männer bedroht, die Frauen und Mädchen waren vergewaltigt worden, besonders im Innenhof muß es furchtbar gewesen sein. Herr Fernau war tot, auch Herr Erkelenz. Ich ging in etwas anderer Verfassung schnell nach Hause zurück. Dort langte ich mir Sibylle und sprach ein offenes Wort mit ihr. Ich gab ihr den Rat, möglichst vornehm auszusehen, sauber gekämmt und freundlich zu sein. Meinen Beobachtungen nach konnte das nur nützlich sein. Sie war auch Gott sei Dank zu dünn. Wir wollten uns sehr in acht nehmen, sie sollte sich möglichst versteckt halten, sollte aber doch mal etwas passieren, so durfte das um Gottes willen nicht tragisch genommen werden! Dann spielten wir den ganzen Tag Halma und legten Patiencen.
Von da an habe ich nicht mehr aufgemacht, wenn an der Tür gebollert wurde. Es geschah nicht allzu oft. Die Tür schien mir fest genug. Den Russen war es verboten, in die Häuser einzudringen, wir wollten es darauf ankommen lassen, und wir hatten recht. Wir hatten zwar noch angstvolle Minuten, wenn sie manchmal recht lange aushielten vor der Tür, aber sie gingen schließlich immer zum Nachbarn dann, der meist dümmer war und aufmachte. Von hinten kamen sie sowieso nicht, weil wir da kaputt waren, und solche Häuser mieden sie. An sich ist es nicht allzu schwer, mit den Russen auszukommen, wenn sie nicht betrunken sind und wenn man keine Angst hat. Es wäre wahrscheinlich überaus einfach, wenn man sich verständigen könnte. Sie sind sehr gutmütig, teilen von dem, was sie haben, nehmen aber auch, was ihnen gefällt, wie es ihnen gerade einfällt und ob sie es brauchen können oder nicht. Sie haben darin ganz primitive Begriffe. Von Moral keine Spur. Zu kleinen Kindern sind sie immer reizend. – Dies nur nebenbei, denn zu diesem Thema Kinder kann man noch viel sagen. – Der erste russische Tag war nun für uns vorbei und damit das Schlimmste.
Peter Bagh
(Berlin-Babelsberg)
Als die Kämpfe auf der anderen Seite abgeflaut waren, wurde es auf unserer Straße lebendig. Ein russischer Major mit Gefolge besichtigte von der Straße aus die Häuser und die Gärten und schickte in unser Haus einen Unterleutnant und zehn Mann, die wissen wollten, ob sich unserDachboden für die Einrichtung eines Beobachtungspunktes eignete. Ich führte den Unterleutnant hinauf, er hielt den Dachboden für geeignet und schickte zwei Mann mit Telefon dahin. Als er hörte, daß ich Russisch sprach, versammelten sich alle anderen im Eßzimmer um den runden Tisch, schleppten Wein und Zigarren aus deutschen Wehrmachtsbeständen heran, und wir befanden uns bald in der
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