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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ohne Liebe dahinlebt. Sie hungert nach der Stille. Jeder Sieg aber kommt mit Schalmeiengeschmetter.
    Ilsetraut Lindemann *1923
Falkensee bei Berlin
    Ein Tag und eine Nacht russischer Besatzung sind überstanden. Jetzt ist es 20 Uhr durch, und ich habe mich wieder soweit in der Gewalt, um die Gedanken schriftlich zu sammeln. Ich will versuchen, der Reihe nach zu berichten. Nachdem die erste russische Kolonne weitergerückt war, kam der Troß mit allem, was dazu gehörte. Daß es vielerorts unliebsame Zwischenfälle gegeben hat, war natürlich nicht zu vermeiden. [...]
    Aber die Angst war zum größten Teil unberechtigt. Sie waren bei uns hier alle freundlich, mit einer Ausnahme. Er war reichlich angeheitert, und seine Kameraden haben ihn zur Vernunft gebracht und an die frische Luft gesetzt. Der erste Schwung hat sich über zwei Stunden bei uns im Keller aufgehalten. Die Verständigung ist bedauerlicherweise sehr schlecht. Aber wir wurden einig, daß wir friedliche, gute Leute sind und keinen Krieg wollen. Sie sind sehr mißtrauisch gewesen, weil sie mit unseren Soldaten so trübe Erfahrungen gemacht haben.
    Kaum war der erste Schwung raus, kamen Kraftwagen angerollt und machten Quartier. Es ging wie im Taubenschlag. Unsere ersten vier Häuser waren Offiziersquartier. Bei uns wohnte der oberste Chef mit seinem Stab. Insgesamt waren es wohl acht Leute. Aber die ganze Nacht durch kamen die Männer mit Meldungen und Befehlen. Es war nicht so einfach. Aber die Offiziere waren so anständig, haben uns einen großen Teil von ihrem Essen gegeben. Speck, Schweinebraten, Ölsardinen usw. Ein Dolmetscher war dabei, der war viel wert. Denn es kommen sonst so viel Mißverständnisse auf, die Grund zur Angst geben, die gar nicht nötig.
    Im großen und ganzen ist aber immer noch bei jedem Angst vorhanden, vor diesen Elementen, die es unter jedem Volk gibt. Die Offiziere sind aber recht wachsam und was in ihren Kräften steht, wird abgebogen. Wie gesagt, bis jetzt müssen wir froh sein, daß wir so davongekommen sind. Hoffentlich wird es heute eine ruhige Nacht. Ich will mich gleich in den Keller packen. Mutti und Omi wollen oben schlafen. Ich wünschte ihnen, daß sie gesunden Schlaf finden. Sie haben ihn bitter nötig. An den Nerven hat das bis zum Zerspringen gezerrt. Möge uns Gott weiterhin beschützen.
    Max Peuschel 1905 –1981
Berlin/Tegel
    Früh erschienen ein «Kommissar» und zwei russische Soldaten im Luftschutzkeller. Kinder bekommen Butterbrote, Russen benehmen sich anständig, essen, rauchen und gehen bald weiter. Sie fanden bald «Freunde» im Hause. Halbwüchsige Tochter eines Hausbewohners scharwenzelt mit ihnen herum. Auf der Straße hat man versucht, meine Uhr zu stehlen, sie war ihnen aber nicht gut genug! Herr Stephan (Miteinwohner bei uns) berichtet von Plünderungen in Nähe des Gefängnisses. Für die Hausgemeinschaft wird Grütze und Traubenzucker verteilt. Bei P. gibt es Käse auf Karten, durchziehende Russen verteilen Marmelade.
    Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
    Hitler: Ich habe mir die Lage für Ostasien überlegt. Wenn überhaupt die Amerikaner ein Interesse daran haben, jetzt von diesem Krieg etwas zu gewinnen, dann muß irgendwie der Krieg für sie sich nützlich erweisen. Das kann er nur, wenn sie
    1. in Europa möglichst viel zerstören. Die europäische Industrie braucht dann die nächsten zehn Jahre, um wiederaufzubauen, und macht in dieser Zeit keine Konkurrenz.
    2. Amerika muß Ostasien als einen Dauerabsatzmarkt erhalten. Und die Amerikaner sollen jetzt kämpfen, damit die holländischen und englischen Kolonien frei werden, nur damit die anderen Geschäfte machen und die Sowjets in China und in der Mandschurei sitzen.
    Das ist alles Wahnsinn! Die Amerikaner sind doch auch Rechner! Der Wechsel, der jetzt stattgefunden hat, ist ein tiefgehender Regimewechsel. Wenn die Geschichte hier zum Stillstand kommt, was ist die Folge? Die Folge ist, unter der Voraussetzung, daß wir tatsächlich bestehenbleiben und daß wir wirklich den Russen schlagen und ihm irgendwo einen Hieb versetzen und nicht zusammenbrechen – die Folge ist, daß die Amerikanersagen, wir wollen uns auf Ostasien konzentrieren und wollen uns in diesem gewaltigen Raum von einer halben Milliarde Menschen, einschließlich Korea, Philippinen und Mandschurei, einen dauernden gigantischen Absatzmarkt sichern.
    *
    Der norwegische Journalist
    Theo Findahl 1891 –1976
Berlin-Dahlem
    Wir müssen eingenickt sein, denn gegen halb ein Uhr

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