Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
war weithin zu hören. Aber eine Notgemeinschaft des gegenseitigen Sichwärmens war es doch. So eine Gruppe vergrößerte sich schnell. Weil jeder vom Rand ins Innere strebte, entstand ein Druck, durch den man von allen Seiten durchgeknetet und bald warm wurde. An das Ungeziefer, dem man sich dadurch aussetzte, dachte man nicht viel. Da der Druck natürlich nie ganz gleichmäßig war, befand sich der riesige Menschenkloß in ständiger Hin- und Herbewegung. Einmal hat einer in dem zähen Boden einen Halbschuh verloren und war dadurch natürlich in eine höchst üble Lagegekommen. Er umkreiste ständig den Haufen und bat flehentlich, man möge doch nur eine Sekunde auseinander treten, so könne er den Schuh holen. Aber es hat keiner auf ihn gehört.
Unweit unseres Lagers stand ein hübsches Siedlungshaus. Schon früh am Morgen öffneten sich die Fenster der Mansardenstube, und kaum schien die Sonne, da wurden die Betten im Fenster ausgelegt. Aber wir waren noch früher auf. Ob die Leute sich wohl klargemacht haben, mit welchem Verlangen sich die Augen von Zehntausenden auf diese Betten und dieses Stübchen gerichtet haben?
Franz Bittkowski *1915
Kriegsgefangenenlager
Bad Kreuznach
Fast die ganze Nacht geregnet. Die Erkältung und Fieber noch schlimmer geworden. Noch weniger zu essen! Hin und wieder etwas Sonne. Aprilwetter, Entlausung.
Ein Kochgeschirr empfangen.
*
Waltraut Fach *1925
(Groß Soltikow/Pommern)
Wir wohnen zu sechs Personen in einem winzigen Stübchen bei dem Bauern Koball. Wir schlafen auf Stroh, haben nichts zu essen. Muttchen bettelt bei Bauern nach Eiern und Speck. Die Ausbeute ist gering. Auf dem Boden entdecken wir Lebensmittel und Waschmittel. Wir bedienen uns, ohne den Bauern um Erlaubnis zu fragen. So ist es Muttchen möglich, unsere verlauste Kleidung zu waschen, denn wir haben Kleiderläuse entdeckt!
Wir haben nun eine tagefüllende Beschäftigung: Läuse und Nissen knacken!
Die Schülerin Jutta
Tantow bei Stettin
Am Morgen des 20. April setzte ein so starker Beschuß ein, daß wir alle Angst bekamen. Ununterbrochen schlug es ein! Jetzt wurde doch der Entschluß zur Flucht gefaßt, denn es ging um unser Leben. Mein Vater lief zum Kutscher, er solle anspannen. Zuerst luden wir, wie befohlen, die betrieblichen Unterlagen auf, dann packte der Kutscher Sachen für sich und seine Familie auf den Wagen, und so war dieser fast voll, als er zu uns kam. Wir hatten im Stall noch einen zweirädrigen Karren, den holten wir nun, beluden ihn mit unseren nötigsten Sachen und koppelten ihn an den Pferdewagen. Ich bestand darauf, daß meine große
Walburg Lehfeldt
Lönnewitz
Gegen 6 Uhr machten wir Rast bei Nexdorf. Wir waren nun 9 Stunden unaufhörlich getreckt. Wir hielten im Wald und deckten die Wagen mit Sträuchern gut ab als Fliegertarnung.
Die amerikanischen Flieger kreisten den ganzen Tag über uns und bombardierten die in unmittelbarer Nähe gelegenen Munitionswerke in Schlieben! Besonders Karin hatte große Angst vor den Fliegerbomben. So mußte man trotz eigener Schrecken Kinder und Pferde immer wieder beruhigen und sich selbst Mut zusprechen. Wir konnten uns nicht auf die Straßen begeben. So kochten wir im Walde mit Hilfe von vier Ziegelsteinen, auf die wir den Kochtopf stellten, Fleisch von einem in letzter Minute in Clementinenhof geschlachteten Hammel mit eingelegten Salzbohnen und Kartoffeln ab. Wir aßen den heißen Eintopf von flachen Zinntellern mit Zinnlöffeln, die ich zu diesem Zweck von Lehfelde aus der alten Eichenanrichte in der Diele mitgenommen hatte. Da das Zinn sehr heiß wurde, erwies sich das als unpraktisch.
Es war warmes Frühlingswetter! Jobst wurde in seinen Kinderwagen gelegt, den wir vom Treckwagen abluden. Wir versuchten, soweit dies bei den Fliegerangriffen möglich war, auf den Pelzdecken zu schlafen nach der durchwachten Nacht. Die beiden großen Kinder schliefen auf Heu in einer Wildfutterkrippe, die wir im Wald vorfanden. Plötzlich kamen mit Kampfgeschrei berittene Russen angeloppiert und umzingelten uns. Wir glaubten uns in der Hand der russischen Armee. Aber es waren nur versprengte Wlassow-Truppen, die sich mit dem Kampfgeschrei selbst Mut machen wollten und uns nach dem Weg fragten. Mit ihren kleinen schnellen Pferden galoppierten sie in Richtung Westen.
Der Landwirtschaftslehrling
Klaus Reinhardt
Prositten
Dann kam der 20. April 1945, ich kam mit einer Fuhre Heu auf den Hof gefahren und sah einen Lastwagen stehen. Neben dem Lastwagen standen
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