Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Tag Fliegerangriffe. Vom Osten und Westen wies Ihnen gerade gefällt! Leider muß ich auf Befehl, bei jedem Alarm parat stehen, wegen des eventuellen Wassereinbruchs, trotzdem sich mein Leben nur noch im Bunker abspielt. Du kannst Dir denken, daß der Schlafdabei sehr zu kurz kommt. Ich bin aber sehr glücklich, gerade jetzt in seiner Nähe zu sein. Es vergeht zwar kein Tag ohne Aufforderung mich auf dem Berghof in Sicherheit zu bringen, aber bis jetzt habe immer noch ich gesiegt. Außerdem: ab heute ist wohl an ein Durchkommen mit dem Wagen nicht mehr zu denken. Wenn alle Stricke reißen wird sich aber sicher ein Weg für uns alle finden Euch wieder-zu-sehen.
Mit Brandt ist eine tolle Schweinerei passiert, d.h. er hat sie gemacht. Näheres kann ich hier nicht berichten.
Die Sekretärinnen und ich schießen jeden Tag mit der Pistole und haben es bereits zu solcher Meisterschaft gebracht, daß kein Mann es wagt, mit uns in Konkurrenz zu treten.
Gestern habe ich, vermutlich, das letzte Gespräch mit Gretl geführt. Seit heute ist kein Anschluß mehr zu bekommen. Aber ich bin fest überzeugt, daß sich alles wieder zum Guten wenden wird und er ist hoffnungsvoll wie selten.
Was macht Anneliese? Fliehen konnte sie sicher nicht, der Fabrik wegen. Ich habe Ihr und Tante, in seinem Auftrag, den Berghof als Asyl angeboten. Wenn sie noch eintreffen sollten, sind sie herzlich willkommen. Wo Ilse jetzt steckt? Bitte schreibt doch mal, wenn möglich. Vielleicht kann die Beförderung durch ein Flugzeug geschehen! Kapitän Bauer hat regen Flugverkehr mit Bayern. Auch Frau Bormann wird wissen wie Ihr am Besten einen Brief durchbringt.
Wo ist Käthl? Georg, Bepo, und wie gehts Gretl? Bitte schreibt bald und viel! Entschuldige, wenn der Styl dieses Briefes nicht dem sonstigen entspricht aber es eilt, wie immer.
Mit herzlichen Grüßen für Euch alle bin ich immer Deine Eva
N. S. Das Photo ist für Gretl bestimmt. Eins von den Würstchen soll Ihr Eigentum werden.
Sag bitte Frau Mittlstrasser sie soll den Mädchen aus Österreich auf allerhöchsten Befehl Urlaub geben um nachhause zu fahren. Aber bitte nur auf beschränkte Zeit. Ich denke an 14 Tage oder so. Grüß sie bitte ebenfalls herzlich.
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Sigmund Graff 1898–1979
Kriegsgefangenenlager
Bad Kreuznach
Kurz vor Mitternacht kam ich mit einem Transport von mehreren tausend gefangenen Offizieren in Kreuznach an. Man wies uns in den Draht, wo wir im schwachen Mondlicht Kameraden in offenen Erdlöchernschlafen sahen. Sie hatten sich zum Schutz gegen die Kälte mit Pappe und Zeitungspapier zugedeckt. Auch wir froren und wollten uns kleine Feuer machen. Aber da einer, der deshalb fragen wollte, von dem Posten am grell beleuchteten Zaun sofort angeschossen wurde, blieb uns nichts übrig, als bis zum Morgen herumzulaufen. Als es hell wurde, stellten wir fest, daß wir uns im oberen Drittel eines gigantischen Käfigs befanden, der als schiefe Ebene aus dem Tal aufstieg. Ein paar Tage später war die ganze ungeheure Fläche mit einem wimmelnden grauen Menschenteppich belegt.
Gerhard von Rad 1901 –1971
Kriegsgefangenenlager
Bad Kreuznach
Das Wetter war im ganzen sehr günstig; es hat verhältnismäßig wenig geregnet. Dann freilich war das Elend groß. Es war schon ein merkwürdiges Bild, wenn bei Beginn eines Regengusses das ganze Lager, das sonst das Bild von überwiegend liegenden Männern bot, auf die Beine sprang und jeder sich irgend eine Pappe oder Decke über den Kopf legte; in wenigen Minuten war der gelbe Lehmboden ein unergründlicher Brei, der jeden Schritt zur großen Anstrengung machte. Und doch mußte man sich, wenn die Nässe anfing auf die Haut durchzudringen, unter allen Umständen Bewegung machen. Ließ der Regen nach, so kratzte man den Schlamm ein wenig beiseite und legte sich wieder hin, um bis zum nächsten Guß etwas ausgeruht zu haben. War der Himmel klar, so wurden die Nächte recht kalt, und man konnte immer nur kurze Zeit auf der Erde liegen. Da gab es nun ein seltsames Mittel, um rasch wieder warm zu werden. Schon auf einem meiner nächtlichen Rundgänge sah ich im Mondlicht von weitem einen großen Haufen von Männern dicht gedrängt beieinander. Dieser Haufen – es waren immer einige Hundert – war nun aber in ständiger Bewegung; er wogte wie eine Qualle hin und her, so daß die Außenstehenden oft den Bewegungen nicht folgen konnten und hinfielen. Das war freilich kein übermütiges Spiel. Auch hier wurde wild geflucht und gezankt, der Lärm
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