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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zwei russische Soldaten mit schußbereiten Maschinenpistolen. Auf dem Lastwagen waren schon ein paar deutsche Jungen, die auch auf der Kolchose arbeiteten. Als die Russen mich sahen, mußte ich gleich vomHeuwagen absteigen und auch zu den anderen auf den Lastwagen aufsteigen. Nach einer Weile kamen noch zwei Russen, die den ganzen Hof nach Deutschen abgesucht hatten, aber nur alte Leute und Kinder gefunden haben, die sie nicht mitnehmen wollten. Einige Jüngere hatten sich versteckt. Nach einiger Zeit kam dann ein Offizier aus dem Haus, er hatte wohl mit unserer Wachmannschaft verhandelt. Die Russen setzten sich dann auch in den Lastwagen, der Offizier zum Fahrer ins Führerhaus und die drei anderen Russen, um uns zu bewachen, auf die Pritsche. So ging die Fahrt los. Bei der Abfahrt warf uns eine alte Frau noch einen Beutel mit Lebensmittel auf den Lastwagen, der, wie sich später herausstellte, uns vor großem Hunger bewahrte, denn wir haben drei Tage von den Russen nichts zu essen bekommen.
    Unsere Fahrt ging dann bis zu einer Kolchose nach Prowangen. Hier hatte man schon 30–40 Deutsche von überall zusammengetrieben. Unter diesen Personen entdeckte ich drei meiner Schulkameraden, Lieselotte Bolk, Ulrich Columbus und Heinz Schulz. Ich war natürlich froh, daß ich Bekannte gefunden hatte. Nach einiger Zeit mußten wir uns aufstellen und wurden von den Russen losgetrieben. Unterwegs kamen immer mehr Deutsche dazu. So kamen wir am ersten Abend bis Prositten. Wir mußten in ein großes Haus hinein, in dem schon Strohlager ausgebreitet waren, vermutlich war hier schon vor uns eine Gruppe Deutscher von den Russen hergebracht worden und weitergetrieben worden. Wir legten uns auf die Strohlage und verbrachten so die Nacht. Nachts hörten wir Schreie von Frauen und Mädchen, die von den russischen Wachmannschaften vergewaltigt wurden.
    Walter Mehlberg
Prokopewsk
    In der Nacht zum 20.4. kamen wir in Prokopewsk an, das wir nach 25 Tagen Bahnfahrt erreicht hatten. Die Stadt liegt in Südsibirien im Vorgebirge des sajanischen Gebirges, etwa 150 km von der chinesischen Grenze entfernt. Ca. 9000 km hatten wir zurückgelegt und haben dabei 4 Wetterzonen durchfahren. Als wir in Prokopewsk ankamen, lagen hinter Hecken und Häusern noch hohe Schneeschanzen. Nach der langen Bahnfahrt waren die Glieder steif geworden, und so fiel uns das Laufen schwer. Nur in Moskau und auf einer Station auf dem Ural haben wir für kurze Zeit den Waggon verlassen dürfen, um uns etwas zu bewegen und Luft zu schnappen.
    Auf der Endstation bemerkten wir, daß der Zug bedeutend kürzer geworden war. Etwa die Hälfte der verschleppten Männer war in ein anderes Lager gekommen. Nach einer guten halben Stunde Marsch hattenwir das Lager erreicht. Bevor wir auf die drei Baracken verteilt wurden, fand noch einmal eine gründliche Leibesvisitation statt. Dabei wurde mir das Taschenmesser, welches mir mein Vetter in Köselitz geschenkt hatte, und auch der Sack, in dem sich meine Habe befand, abgenommen. Ebenso wie mir, ging es meinen Kameraden. Mit unter den Arm geklemmten verbliebenen Sachen gingen wir in die uns angewiesene Baracke, die für eine Nacht unser Asyl sein sollte. Aufgeworfene Schneehaufen an beiden Seiten des Einganges ließen darauf schließen, daß das Lager längere Zeit nicht belegt war. Wir suchten eine Pritsche, aber alle waren schon belegt, und somit mußten wir unser Lager auf den Dielen aufschlagen. Da es erst wenig getaut hatte, und es hier über 2 m tief in die Erde hinein friert, strahlte sie die Kälte wie ein Eisberg aus.
    *
    Ernst Jünger 1895 –1998
Kirchhorst
    Dazwischen las ich die Erinnerungen der dänischen Gräfin Ulfeldt, die sie unter dem Titel «Jammers Minde» hinterließ. Lange und schwere Gefangenschaften wie die ihre im Blauen Turm weisen auf horoskopischen Einfluß hin, auf zwingenden Bann. Er kann unmittelbar, durch Unstern, wirken, oder er schafft sich charakterologische Hilfsmittel. Diese sind sekundär, denn das Gefängnis steht sowohl Schuldigen wie Unschuldigen offen; und es können Tugenden wie Laster zur Haft führen.
    Fesseln kommen vor allem den unbeherrschten Lebenstrieben zu. Das liegt auf der Hand hinsichtlich der Kriminalität. Es gilt aber auch, wie etwa bei Casanova, Sade, Schubart, Trenck, für die erotische Welt. Zu dem mit ihr verbundenen Reisefieber sind Fesseln das Pendant, auf das, glaube ich, Weininger zuerst hingewiesen hat. Don Juan muß wie ein Verfolgter den Schauplatz wechseln; Kant kam

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