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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Unzahl deutscher Soldaten keine Aktionen. Nach etlichen Umwegen landen wir am Hafen, wo im Scheine der untergehenden Sonne Tausende von Soldaten stehen, als sei ein Feldgottesdienst angesetzt. Alle Blicke richten sich auf das weite Rund des durch Molen begrenzten Hafens. Ein Schnellboot, überladen mit Soldaten, strebt der Ausfahrt zu. Hier stehe ich am Ufer der Verzweiflung. Vor uns Wasser, hinter uns der Feind und kein Entrinnen! In einem Bunker im nahen Dünengelände verbringe ich mit Gerhard Polke und vielen anderen die Stunden.
    Heinrich Keim
Kurland
    7. 5. 1945, letzter Tag im Kurlandkessel. Da ich weiß, daß Wertsachen vielleicht nur noch Stunden in meinem Besitz sein werden, hinterlege ich meinen Ehering, Fotoapparat und meine Heimatanschrift bei einem lettischen Bauern. Die Zukunft ist so dunkel wie die Nacht. – Am nächsten Tage übergeben wir die Fahrzeuge, Waffen und Ausrüstung den Russen, und ein Dolmetscher erklärt uns, daß wir von jetzt ab Kriegsgefangene sind. An meinen Schulterstücken sehen die Russen, daß ich einer technischen Einheit bei der deutschen Wehrmacht angehörte. Augenblicklich werde ich von meiner Kompanie getrennt. Es bleibt eben noch Zeit, um mich von meinen Kameraden mit einem Händedruck zu verabschieden und ihnen für die Zukunft den Umständen entsprechend das Beste zu wünschen.
    Bei untergehender Sonne werde ich von zwei russischen Posten auf einen Friedhof geführt – und man macht mir lautstark und mit unmißverständlicher Handhabung der Maschinenpistole klar, daß ich mich nicht von meiner Stelle entfernen darf. Es wird Nacht, der Himmel hat sich bezogen, es fällt ein feiner Regen. In der Umgebung wird es allmählichruhiger. Ich bin nicht sicher, ob ich bewacht werde. Die Einsamkeit und das Gefühl, schutzlos in einem fremdem Lande zu sein, drücken die Stimmung auf den Nullpunkt und lassen den Gedanken an Schlaf nicht aufkommen. Ich nehme dann doch meine Decke, das einzige, was mir geblieben ist, und lege mich zwischen zwei Gräber. Obwohl der naßkalte Boden bald spürbar wird, bleibe ich liegen, damit der Körper Ruhe bekommt. Wer weiß, was mir der kommende Tag bringen wird. In diesem Dämmerzustand höre ich plötzlich einen Anruf: «Kamerad!» Im Morgengrauen sehe ich einen mir unbekannten Feldwebel. Er mußte die Nacht unweit von mir in gleicher Lage verbringen, hatte aber beobachtet, wie mich die Posten abends zuvor auf den Friedhof führten. Wie zwei alte Freunde sitzen wir nun zusammen, und doch weiß einer vom anderen so gut wie nichts.
    Otto Faust
Kriegsgefangenenlager Szaiias-Pilz bei Riga
    In diesem Lager erlebte ich auch die bedingungslose Kapitulation unseres Vaterlandes. Es war für mich sehr schwer. Als Idealist zog ich in diesen Kampf, ob als Soldat oder Nationalsozialist, und ein so gewaltiges Ringen nahm so einen bitteren Abschluß. Einige freuten sich, insbesondere die Herren von der «Antifa», d.h. Antifaschisten. Es waren meistens Vagabunden, ich werde nochmals auf diese «Sorte» zurückkommen [...] Ich war inzwischen körperlich so stark abgemagert, daß ich bei einer Untersuchung O.K. (d.h. ohne Kraft) geschrieben wurde. Außer Essenholen durfte ich nichts arbeiten, es waren viele Kameraden, die noch viel schlechter dran waren als ich, sie nannte man Distrophiker (Unterernährte), welche von ihnen sind im Lager gestorben. Ruhr und Wassersucht waren die häufigsten Krankheiten.
    Im Mai kamen dann die Kapitulationstruppen aus dem Kurland, sie waren noch körperlich gut in Ordnung, gute Kleider und hatten noch viel Verpflegung bei sich. Sie waren alle zuversichtlich, daß sie bald in die Heimat entlassen würden, es kam jedoch anders.
    *
    Der Arzt Lager Rothenstein
    Hans Graf von Lehndorff 1910–1987
bei Königsberg
    Am 8. Mai hören wir, daß der Krieg zu Ende ist. Die Lautsprechen schallen noch etwas durchdringender als sonst. In den Hallen sprechen ein paar zweifelhafte deutsche Soldaten über die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Segnungen des Bolschewismus. Vor der Tür desKommandanten ist – woher in dieser Wildnis? – ein strotzendes Blumenarrangement aufgebaut worden. Sonst merken wir nicht viel vom Endsieg. Die offizielle Ernährungslage ist nicht besser geworden. Es gibt weiterhin nur Grütze und manchmal getrocknetes Brot, das in Säcken transportiert wird. Das Lazarett hat allerdings den erheblichen Vorteil vor dem übrigen Lager, daß es seine Ration selber holen, zubereiten und verteilen kann. Außerdem bekommen

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