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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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haben, das waren die lebensrettenden Eigenschaften. Sich den Russen unentbehrlich machen, ihre Sympathie gewinnen, etwas reparieren, zum Beispiel eine Uhr oder Petroleumlampen. Dafür gab es Brot oder Haferflocken, Gerste oder Suppe.
    Mutter hatte vom Wasserholen Sehnenscheidenentzündung und große Schmerzen. Abends bastelte ich eine Pede – ein über die Schulter zu legendes Joch –, an das man rechts und links einen Eimer hängen konnte. Das erleichterte das Wasserholen. So konnte Mutter zwei halbvolle Eimer ohne Schmerzen tragen. Doch bald war ich selber in der Lage, unser lebensnotwendiges Wasser aus Luisenwahl zu holen. Vater gewöhnte sich daran, von uns versorgt zu werden, und begann wieder Chinesisch zu lernen. Doch auch als alter Mann hätte er versuchen müssen, in irgendeiner Form zum Lebensunterhalt beizutragen. Die Russen respektierten jetzt würdig aussehende und weißhaarige Männer und setzten sie bei Verwaltungs- und Organisationsaufgaben ein. Es sollte bald zu bitteren Auseinandersetzungen zwischen mir und Vater kommen.
    Horst-Harry Reuschel
Gestüt Damsbrück/bei Falkensee
    Als der Kapitulationstag am 6. Mai und Siegesparade am 8. Mai in Berlin kam, da hißte auch ich, der mit den anderen nach Damsbrück Zurückgekehrte, die englische Fahne auf unserem Stallboden. Klara hatte sie nach Mutters Angaben fabriziert und bis auf die fehlenden weißen Querstreifen war sie echt. Ich zog mit einem Amikäppi u. angehefteter englischer Kokarde umher und ich wurde zusehends mutiger. Es machte mir gar nichts aus, nun mit den Russen zu parlieren. Ein Russe, der mit vorgehaltener Pistole unser Panjepferdchen-Überbleibsel eines «Austausches» klauen wollte, den zwang ich zum militärischen Salut vor unserer Fahne und Wegtreten. Mein Zwang bestand in kaudergewelschtem Russisch: Du Kamrad? Wui Angliski ponemai, nix Germanski! Carascho slutheitje Towarisch! Su da Doswidanje. Egal wie, aber er spurte mit Salut vor mir oder der Fahne. Das Pferd war wieder unser. Aber es gab für mich auch mal Hiebe! Als ich einen Mongolen, der Papiroski drehend auf einem Panjerücken lümmelte, von unserem Grünschnitt runterholen wollte. Mein Spruch nützte nichts, auch nicht meine Beziehungsdeuterei zu seinem Kommandant. Er holte mit einer Art Nagaika aus und versuchte mich vom Pferd aus hauend zu verfolgen. Zum Glück war ich rascher als er u. raste die Koppelzäune durchschwingend aufs nachbarliche Gestüt, wo mein Russenfreund Alexej Kommandant war. Der half mir dann auch und prügelte nun seinerseits den Mongolen vom Pferd. Am nächsten Tag waren wir beim Ölen unserer nicht requirierten Mähmaschine, als plötzlich dieser Mongoliski mir auf die Schulter klopfte. Ehrlich, ich dachte an mein letztes Stündlein und habe aus dieser Zeit wohl auch meinen nervösen Magen behalten, aber nichts war: Grinsend quatschte er von: du Papiroski slutscheitje.Na, er bekam nicht nur eine, sondern gleich zwei, und so hatte ich doch gesiegt, denn die Russenpanjes durften fortan nicht mehr auf angliski Doma weiden.
    *
    Hans Henny Jahnn 1894–1959
Bornholm
    Während des ganzen Morgens Flugzeuge in der Luft. Ich vermutete, es seien englische, die das Fahrwasser beobachten. Leider ist es anders. Als ich auf den Hof kam hörte ich Geräusche wie von einem riesenhaften Motor: das Trommeln der Geschütze und das Einschlagen der Bomben. Die Feuersäulen der Bomben spritzten [?] aus Rønne auf. – So geht es schon seit wenigstens einer Stunde.
    Möglicherweise wurde auch Allinge bombardiert. Aber wir können es von hier nicht entscheiden. Die Sirenen haben wir hören können. – Das also ist der erste Friedenstag. Ich sehe übrigens nicht eine einzige Flagge. [...]
    Um 3 Uhr habe ich die Rede Churchills gehört. Sie war kurz, 4–5 Minuten Dauer. Er gab eine genaue Darstellung der Kapitulation. Zwei Punkte möchte ich hervorheben: Die gestern unterzeichnete Urkunde muß heute in Berlin ratifiziert werden und tritt danach erst heute Nacht, eine Minute nach 12 Uhr in Kraft. Ganz genau gesagt: in der ersten Minute des morgigen Tages. – Dieser Zusammenhang erklärt die Kriegshandlungen auf der Insel. [...] Es wird immer unverständlicher, warum die Engländer nicht hierher gekommen sind. – – – – –
    [...] Morgen früh sollen russische Truppen eintreffen und die Entwaffnung vornehmen. Wegen meiner Verbindung nach Deutschland bin ich sehr betrübt über diese Wendung.
    11 Uhr. Offiziell sollen 4/5 von Nexø und 70% von Rønne vernichtet sein,

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