Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
doch keine dänischen Toten. [...]
Offiziell werden 20 000 umherstreifende Soldaten aus Kurland als eine Gefahr für die Insel bezeichnet, weil sie weder Obdach noch Nahrungsmittel haben. Die dänische Regierung ist ersucht worden und auch bereit, Schiffe mit Nahrungsmitteln zu senden. Es dürften jetzt mehr Soldaten und Flüchtlinge als Einwohner auf der Insel sein. In Nexø steht ein Munitionsschiff in Flammen, das stückweis explodiert. Deshalb können die Brände in der Stadt nicht gelöscht werden.
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Der Offizier
Udo von Alvensleben 1897–1962
Nordnorwegen
Unser Zeitalter ist «apokalyptisch». Die ganze zivilisierte Welt krankt an den Folgen der Säkularisation aller Kulturwerte und Bindungen, die in den letzten Jahrhunderten vorbereitet sich seit 1789 vollzieht. Gebirge von Schuld. Wie leicht hätte eine konstruktive Politik die Grundlage für ein Zusammenleben der Nationen unter neuen, besseren Voraussetzungen schaffen können! Doch Verbrechen häufen sich auf Verbrechen. Das alte Europa zerbricht. Wird die kommende Generation fähig sein, ein neues zu bauen? In all dem Heillosen mag das Heil im Verborgenen unter den Wenigen erwachsen, auf die es in allen Zeitaltern angekommen ist. Wird eine rechtzeitige Hinwendung des Menschen zu dem ewigen Maß der Dinge die Welt von der Selbstauflösung retten? Die Norweger beginnen, Freudenfeste zu feiern. In der Nacht vom 7. zum 8. Mai lodern rings Johannisfeuer. Die Akten der gesamten Wehrmacht werden verbrannt. Es geschieht mit grimmiger Freude. Mit der Erklärung der bedingungslosen Kapitulation durch die Regierung Dönitz-Krosigk ist der Krieg zu Ende. Vorgänge wie im November 1918 wiederholen sich, doch wie harmlos wirkt die Niederlage im Ersten Weltkrieg jetzt demgegenüber! Das große Schiff, das ich am 1. September 1939 im Geiste hatte sinken sehen, ist untergegangen.
Voll Überraschung konstatiere ich, wie sich mir die Dinge in seltsamer Distanz und kühlem Lichte darstellen. Die Perspektive der welthistorischen Betrachtung läßt mich alles wie aus zu weiter Entfernung sehen. Der Schmerz ist vorweggenommen und ausgebrannt.
Der Leitende Ingenieur Günter Bartelt
Norwegen
Drei Soldaten von unserem Marinestützpunkt mußten festgenommen und abgeurteilt werden. Sie hatten sich sehr unwürdig benommen und schwarze Listen angefertigt von Vorgesetzten, die ihnen unbequem waren. Sie hatten sich dazu hinreißen lassen, in den Straßen von Kristiansand inmitten johlender und feiernder Norweger ihre Uniformen gegenseitig zu demontieren, teilweise sogar mit den Zähnen. Eine Marine-Offizierstreife griff hart durch und setzte die Missetäter zur Aburteilung fest.
Der Wachoffizier Gerd Kochskämper
Kopenhagen
Alle deutschen Schiffe im Hafen flaggten am 8. Mai 1945 über die Toppen. Um 16.00 Uhr wurden alle deutschen Nationalflaggen niedergeholt, da zum gleichen Zeitpunkt die Kapitulation in Kraft trat.
Kurz zuvor hatte unser Kommandant seine letzte Ansprache gehalten, in der er u. a. hervorhob, daß die Besatzung des Segelschulschiffes «Albert Leo Schlageter» und die des Hilfskreuzers «Orion» zusammen mit den Schiffen der Handelsmarine und der Kriegsmarine mit der Rettung der Vertriebenen über See zu einer humanitären Herausforderung gebracht wurden, deren einmalige Leistung erst in späteren Jahren ihre volle Anerkennung finden würde.
Ilse Vögerl *1920
Kopenhagen
Als die Kapitulation in Dänemark durch war, fingen die Freiheitskämpfer im Hafengebiet an, aus den Häusern auf die Schiffe zu schießen. Neben uns lag der Panzerkreuzer «Norma» [?], der schwenkte denn so hübsch seine Türme, und da haben wir gesagt: «Hoffentlich schießen die mal richtig.» Wir haben durch die Bulleyes geguckt und konnten einen Krieg aus nächster Nähe beobachten. Unser Wäschesteward, der ging bloß einmal über Deck und hatte dann einen Oberschenkelschußbruch. Die Dänen haben noch sehr viel Tote gehabt, und die Deutschen 15 Tote. Da kam die dänische Regierung den nächsten Tag und brachte einen Kranz, für die Toten. Weil die da nicht damit einverstanden waren, daß die Freiheitskämpfer nach der Kapitulation noch so was anfingen.
Thorkild Hansen 1927–1989
Kopenhagen
Ein unvergleichliches Sommerwetter, als wollte auch die Sonne den glücklichsten Tag seit Jahren feiern. In Turnhosen liege ich draußen auf dem Rasen und lese «Der Fall des Königs» [von Johannes V. Jensen]. Es ist wunderbar zu spüren, wie die Haut abwechselnd von der Sonne gewärmt und von
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