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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Auf die Schulter des anderen kletternd, halfen wir uns gegenseitig und kamen glücklich ins Boot, bzw. auf Deck des Fährprahms. Kurz darauf nahm das kleine Geleit Fahrt auf, es mochte ungefähr 7 Uhr abends gewesen sein. Es war ein klarer Abend, als wir die Bucht hinaus auf See fuhren. Zu unserer Verwunderung fuhren wir an Hela vorbei auf die offene See. Da verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, daß um Mitternacht der Waffenstillstand in Kraft trete. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, angesichts der Tausenden Zurückbleibenden und meiner ungeahnten Rettung in letzter Sekunde.
    Der Obersteuermann Fritz Bösel *1920
Hela
    Am 8. Mai morgens beobachtete ich vom Ankerplatz aus durchs Glas, daß im Kriegshafen ein unwahrscheinliches Gedränge auf den Piers,Molen und Kais von Soldaten herrschte, als die ersten Boote, Prähme, Leichter, Fischkutter und andere Fahrzeuge in den Hafen einliefen. Alles, was aufzutreiben war, was schwamm, lief ein und wurde beladen. Den ganzen Vormittag kamen kleine Fahrzeuge. Niemand wußte, woher diese Boote, diese Nußschalen aufgetrieben wurden. Es wurden immer mehr, 50, 60 und noch mehr. [...]
    Es wurden uns nach Geschwindigkeit zusammengestellte Geleitzüge zugeteilt. Wir übernahmen Schutz und Navigation. M 3109 und M 3108 übernahmen drei mit Soldaten vollbeladene Marinefährprähme der 13. Land.-Flot. einschließlich des Flottillenchefs, eines Korvettenkapitäns als Verbandführer. Bei unserer Flottille herrschte Aufbruchstimmung. Alle Boote wurden als Begleit- und Sicherungsboote aufgeteilt, meist als Zweier-Päckchen.
    Unsere beiden Boote wurden für die Verladung von bis zu 120 Landsern freigegeben. Tatsächlich beluden wir unsere KFK’s bis zur Grenze unseres Fassungsvermögens.
    Die Belastung vollzog sich anders als damals in Pillau, in großer Disziplin. Bei mir stieg ein Oberst ein. Ein riesiger, grobschlächtiger, etwa 45jähriger Bayer mit einem roten Gesicht. Er sorgte gleich für Ordnung unter den Soldaten. Später erlaubte ich ihm, sich in meine Kabine zurückzuziehen. Den ganzen Vormittag über verließen Geleitzüge von Kleinfahrzeugen, die von Sicherungsfahrzeugen der 9. Sicherungsdivision begleitet wurden, Hela in Richtung Westen. Noch immer trafen fahrbare Untersätze mit Soldaten aus dem Weichselstützpunkt ein. Gegen 13 Uhr fuhr das letzte Geleit größerer Schiffe aus.
    Um 14 Uhr schlug auch unsere Stunde. Zurück blieben noch das Führerschiff der 9. Sicherungsdivision und einige Räumboote im Kriegshafen von Hela.
    Luftlinie bis zu unserem Zielhafen Flensburg hatten wir über 300 sm zurückzulegen, bei einer durch die ausgeleierten Maschinen der MFP bedingten Marschgeschwindigkeit von 7 Knoten.
    Zur Navigation stand uns nur eine Übersichtskarte der Ostsee zur Verfügung. Küstenkarten von den zu passierenden Seegebieten hatten wir nicht. Als wir den Kopf der Halbinsel bei herrlichem Wetter umrundet hatten, gingen wir auf 310° rechtweisenden Kurs. Hinter unseren beiden KFK’s schipperten die schwerfälligen drei Marinefährprähme.
    Etwa kurz nach 18 Uhr sahen wir im Westen Kriegsschiffe, die sich mit hohen Bugwellen näherten. ES-Austausch ergab, daß es sich um die Zerstörer «Karl Galster» und «Friedrich Ihn», Z 25 und die Torpedoboote 23 und 28 handelte. Der Großadmiral schickte das letzte Aufgebot,um zu retten, was zu retten war. Wehmut überkam einen, als die letzten, hellgrauen, schnittigen Schiffe der Flotte, die noch kampffähig waren, auf der Höhe von Rixhöft an uns vorüberrauschten, an der Stelle, wo auf dem Grund der See 6000 Menschen mit der «Goya» ihr Seemannsgrab gefunden hatten.
    In dieser Nacht und am nächsten Morgen war die Ostsee zwischen Hela und Bornholm übersät mit Schiffen aller Größen und Bauarten. Von der Fähre bis zum Kutter, vom Küstendampfer bis zum Tanker, vom Hafenschlepper bis zum Schulschiff, vom Vorpostenboot bis zum Zerstörer, und dazwischen schwammen Leichter, Prähme, Schuten und offene Flöße, zum Teil in Schlepp. Das hatte die Ostsee noch nicht gesehen. Zum Glück hatten wir ruhige See. Ich war froh, daß wir unsere Wache durch drei teilen konnten, dank des kleinen Obersteuermannes. Trotzdem war ich fast die ganze Nacht auf der Brücke. In dem Tohuwabohu mußte man höllisch aufpassen, daß man keine Ramming fuhr, überall tauchten Boote auf. Den ganzen 8. Mai hatten wir eigenartiger Weise Ruhe vor dem Feind gehabt. Sie dachten wohl, daß sie uns doch alle kriegen.
    Der Gefreite

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