Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
vollbracht und mehr erduldet als vielleicht alle übrigen Völker der Erde. Ich kann jetzt nur der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß die Sieger es mit Großmut behandeln werden!»
Die offizielle Zeit der Unterzeichnung war 2 Uhr 41 britische Sommerzeit.
Ich hatte nun die Federn; Ike kann, wenn er will, die goldene und die vergoldete dem Präsidenten und dem Premierminister, die meinige Mr. Parker dedizieren – das dumme ist, daß die meinige weder aus Gold noch vergoldet ist.
Die Delegierten standen auf, und die Deutschen wurden zu General Ike geführt, der sie streng fragte, ob sie alle Klauseln voll und ganz begriffen hätten und ob sie bereit seien, sie auszuführen. General Strong übersetzte die Frage. Die Deutschen antworteten bejahend, machten eine steife Verbeugung und verließen das Zimmer.
Da die Photographen dringend noch weitere Aufnahmen heischten, forderte General Ike uns alle auf, sich um ihn zu gruppieren. Jemand machte den Vorschlag, er solle die Füllfedern halten; er hob sie hoch, das V-Zeichen mit ihnen bildend, es wurde geknipst und dann beglückwünschten alle einander.
Doch Ikes Arbeit war noch nicht beendet, er mußte noch für die Wochenschau und für den Rundfunk herhalten: Er nahm den Luftmarschall mit in den Kartenraum, damit alle Welt die beiden Alliierten vereinigt sähe, und sprach «aus dem Handgelenk» einige kurze Worte. Auf meine Veranlassung hin wurde noch eine Nachaufnahme gemacht, denn er hatte das Wort «Waffenstillstand» gebraucht und ich fand, daß dieses Wort die Laxheit und Nachlässigkeit der Periode zwischen den beiden Kriegen in sich schließe. Über mich brummend ersetzte er es durch «Kapitulation». Als wir in Ikes Bureau zurückgingen, versetzte mir Tedder einen Rippenstoß und sagte augenzwinkernd, General Ike sei der beste Redner der Welt und ich solle mich nicht so aufspielen.
Aber es ist kein Waffenstillstand, es ist die völlige, bedingungslose Kapitulation, und dafür haben wir gekämpft!
Ab und zu hatten wir uns früher im Scherz heroische Textfassungen für die Meldung der vollzogenen Kapitulation ausgedacht. Aber der Oberste Befehlshaber diktierte nun schlicht folgendes Kabel an die Vereinigten Stabschefs:«Am 7. Mai 1945 um 2 Uhr 41, Ortszeit, ist die Aufgabe unserer alliierten Streitmacht erfüllt worden!»
Jetzt war die Frage, wann die Nachricht von der Kapitulation veröffentlicht werden sollte. Ich machte Ike auf die vor dem Gebäude versammelten Korrespondenten aufmerksam und sagte, die Nachricht werde durchsickern, was für Vorsichtsmaßnahmen wir auch ergriffen und was für Aufforderungen, Diskretion zu wahren, wir erließen. General Bull legte den Befehl vor, der an alle alliierten Verbände an der Front zu übermitteln war: in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, den 8. und 9. Mai, um 00 Uhr 01, britische Sommerzeit, sind die Feindseligkeiten einzustellen. Der Befehl sollte in offener Sprache verbreitet werden. Ich machte darauf aufmerksam, daß die Nachricht von jeder Radiostation aufgefangen werden könnte, und schlug daher vor, den Befehl «Feuer einstellen» erst um 7 Uhr durchzugeben und dann auch die Nachricht den Korrespondenten frei zu geben. Doch für einen Soldaten gilt nur «Befehl ist Befehl», und General Ike hatte von den Vereinigten Stabschefs den Befehl erhalten, daß die Bekanntgabe erst später an einem von den Regierungen festzusetzenden Zeitpunkt erfolgen dürfe. An diesen Befehl hielt er sich, gab aber die Anweisung, daß der Befehl «Feuer einstellen» chiffriert durchzugeben sei.
Es war fast 5 Uhr, als wir in die Federn krochen.
Morgen gehe ich nach Berlin! Ich habe schon so viel in diesem Krieg erlebt, doch diese Reise wird der Höhepunkt sein. Ike kommt nicht, er schickt Luftmarschall Tedder, seinen Stellvertreter, was insofern gut ist, weil sich eine britische Unterschrift auf dem Dokument befinden wird. Gegen 9 Uhr stand ich auf, badete, rasierte mich und zog mich an, dann steckte ich meine Nase in Ikes Schlafzimmer; er lag noch im Bett, war aber schon einige Zeit wach und hatte mehrere Telephongespräche erledigt – eines mit General Bull über die Ratifizierung der Kapitulation durch die Russen; auch hatte er eine aufregende Wildwestgeschichte gelesen.
Ike hatte durch Vermittlung unserer Militärmission in Moskau General Antonow durch ein Telegramm darauf hingewiesen, daß sich das SHAEF gewissenhaft an die Abmachungen mit den Russen, keinen separaten Waffenstillstand an unserer Front zu schließen,
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