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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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beenden.
    *
    Der britische Sergeant
    Norman Kirby *1913
Lüneburger Heide – Flensburg
    Es war ein strahlender Frühlingstag, aber trotz des hellen Maisonnenscheins begann dieser unvergeßliche Tag – wie so viele Tage im Leben bei der Armee – mit einer Menge nicht gerade aufregender Pflichten. Nachdem ich meinen Schlafplatz im Zelt in Ordnung, zwei Paar Stiefel zum Schuster gebracht, die tägliche Anwesenheitsmeldung dem Lageroberfeldwebel gemacht und meine kleine Ausrüstung gepackt hatte, meldete ich mich bald nach Einbruch der Morgendämmerung an dem auf der Karte angegebenen Ort in der Lüneburger Heide.
    Pünktlich zur verabredeten Zeit traf ich mich mit zwei britischen Offizieren in einem Jeep. Einer von ihnen war Major O’Brian, der andere war, wie sich herausstellte, ein Beobachter der BBC, Chester Wilmot.
    Nachdem ich sie begrüßt hatte, kletterte ich in den Jeep. Wir wurden über die unebene Heide gefahren und durch die Vororte von Lüneburg zu einem Flugplatz, wo eine Anson schon auf uns wartete, als wir ankamen. Mich befiel große Aufregung, als ich das Flugzeug bestieg, mein erster Flug – Flugreisen waren noch nicht so üblich wie jetzt. Wir wurden in unseren Sitzen angeschnallt, die kleine Eisenleiter wurde in das Flugzeug gezogen, die Tür geschlossen, und mit einem Aufheulen der Motoren glitten wir die Rollbahn entlang in einen warmen blauen Himmel. Bald lag Deutschland hübsch und geometrisch weit unter uns. Wo waren der Staub, die Schlaglöcher, die zerstörten Verschiebebahnhöfe, die endlosen, ungeordneten Schlangen von vertriebenen Personen in dieser vereinfacht dargestellten Landschaft? Ich starrte hinunter auf die sonnenbeschienene Elbe, die wie ein gewundenes Band durch ein helles Mosaik von gelben und grünen Feldern glitt; in der Ferne erhoben sich die wenigen verbliebenen Schornsteine von Hamburg. Später schnitt der Kiel-Kanal eine gerade Linie durch diese Aussicht. Hin und wieder zog das Flugzeug hoch oder fiel abwärts, wenn es in ein Luftloch geriet. Ich sah Major O ’Brian an, um Informationen über das Ziel unserer Reise zu bekommen. Er zog einen großen Umschlag aus seiner Tasche und sagte: «Dieses, mein Junge, ist das Ende des Krieges.» [...]
    Der heutige Tag sollte das Ende aller Feindseligkeiten im Westen ankündigen. Ich war begeistert über die Aussicht auf endgültige Kapitulation, die nach so langer Zeit ganz Europa Frieden bringen würde. Mir war nach Singen zumute.
    Aber was hatte ein einfacher Sergeant mit dieser lebenswichtigen Mission zu tun? Major O ’Brian bemerkte meinen fragenden Blick:
    «Sie sprechen Deutsch, nicht wahr, Sergeant?» – «Ja, Sir.» – «Nun dann.» Ich überlegte: «Was hat das zu bedeuten?» und stellte mir dabei vor, daß ich wie gewöhnlich die langweilige Rolle des Wachestehens übernehmen sollte, oder für meine höheren Offizieren erkunden sollte, wo die Waschräume sind. Das Mißverständnis hätte nicht größer sein können. Major O ’Brian war mit der Aufgabe betraut worden, ein Schreiben mit den endgültigen Kapitulationsbedingungen Feldmarschall Keitel, dem Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte, zu übergeben, und ich sollte der Dolmetscher sein. Der BBC-Reporter sollte als Army-Captain vorgestellt werden, als Stellvertreter des Majors.
    Ein großer deutscher Flugplatz kam in Sicht mit Flugzeugen, die das Hakenkreuz trugen und ordentlich in Reihen am Rande des Platzes standen. Dieses, so erfuhren wir, war alles, was von der mächtigen LuftwaffeGörings übriggeblieben war. Ich erinnerte mich, andere Flugzeuge mit den gleichen Zeichen gesehen zu haben, als sie die Felder von Kent verwüsteten. Ich hatte auch noch weitere Erinnerungen an die Flugzeuge, die die Londoner während der langen Nächte des Luftkrieges wachhielten. Die Anson drehte ab und kreiste zweimal über dem Flugplatz, ehe sie landete. Infolge eines Mißverständnisses war niemand anwesend, um die Abgesandten des Feldmarschalls Montgomery zu empfangen. Nur ein General Blaskowitz, der zufällig an Ort und Stelle war, kam auf uns zu und verkündete: «Ich weiß nichts von so einer Mission.»
    Er bot sich jedoch freiwillig an, die Gruppe in seinem Wagen zum OKW (Oberkommando der Wehrmacht, das oberste Hauptquartier der deutschen Streitkräfte) zu fahren.
    In den Straßen von Flensburg, die von deutschen Soldaten, Matrosen und Luftwaffenangehörigen bevölkert waren, erregten die drei britischen Uniformen in einem offenen Wagen großes Aufsehen. Diese

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