Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
dann ist da ein Rechtsanwalt, der tröstet uns immer und spricht uns Mut zu.
Das muß man sich mal vorstellen: Der, dem unsere Leute so viel angetan haben, spricht uns Mut zu! Er meint, was wir hier täten, wäre ganz wunderbar. Aber es wäre eine große Gemeinheit, daß halbe Kinder das in Ordnung bringen müßten, was Erwachsene angerichtet hätten.
Dieser Mann hatte nur eine Bemerkung gegen die deutsche Besatzung in Holland gemacht. Dafür brachte man ihn ins KZ.
Eben erhielten wir statt der üblichen Graupensuppe eine Dose mit Fleischschmalz und etwas Brot. Sechs Mädchen konnten sich eine Dose und ein Brot teilen. Das hat uns ganz wunderbar geschmeckt. Auch Kaffee gab es. Wir sind endlich mal wieder richtig satt geworden, und der Kaffee wärmt. Nun haben wir auch wieder Mut für die nächsten Tage.
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Der amerikanische Kriegsgefangene
Ray T. Matheny *1925
Braunau am Inn
Am Spätnachmittag des 7. Mai wurden die Kriegies in ein am Westrand der Stadt gelegenes Fabrikgebäude verlegt, das uns bis zum Abtransportals Unterkunft dienen sollte. Nicht alle wurden erfaßt und gleichzeitig hingebracht; daraufhin wurden Patrouillen ausgeschickt, sämtliche ehemaligen Kriegsgefangenen einzusammeln. Ein paar von uns waren damit beschäftigt gewesen, das städtische Museum zu plündern; einer hatte einen edelsteinbesetzten Degen an sich gebracht und ein anderer eine silbergefaßte Diamantbrosche. Noch ein anderer war in das Geburtshaus von Adolf Hitler eingedrungen, das zu einer nationalen Gedenkstätte gemacht worden und mit allerlei Erinnerungstücken an Hitler und seinen Aufstieg zur Macht ausgestattet war. Dieser Kamerad hatte sich eine goldene Plakette mit Hakenkreuz darauf angeeignet, in die eingraviert war: Adolf Hitler von Admiral Dönitz. Diese Dinge wurden verheimlicht und beim Heimtransport der Kriegies vermutlich in die Vereinigten Staaten eingeschmuggelt. [...]
In der Fabrik suchten die Kriegies sich jeder eine Stelle, um die Wolldecken auszubreiten und dort die Nacht zu verbringen. Die Köche des 3rd Corps of Engineers brachten uns 10-in-1-Rationen zum Essen. Diese Pakete enthielten hochkonzentriertes Eigelb und Wurst, Schinken, Rindfleisch und so weiter, alles Dinge, die sich gut mit anderen Nahrungsmitteln mischen ließen. Viele von uns vertilgten ganze Dosen dieser äußerst kalorienhaltigen Lebensmittel, doch da sie es nicht gewohnt waren, wurde ihnen wenige Stunden später speiübel. [...]
Lastwagen brachten uns auf einen ungarischen Flugplatz östlich der Stadt, der vollstand mit deutschen Flugzeugen. Es waren Unterkünfte für Hunderte von Mannschaften vorhanden, und wir sollten hier ein paar Tage verbringen, bis wir per Flugzeug nach Hause zurückgebracht werden konnten. Am frühen Nachmittag wurden wir auf den Flugplatz losgelassen. Ich lief sofort zu den Parkplätzen, um mir die deutschen Maschinen anzusehen. Da standen mehrere Heinkel 111, Junker 88, Messerschmitt 109, eine Me-108, Focke-Wulf 190 und ein kleines Flugzeug, das als Ausbildungsmaschine gedient hatte. Ein Kriegie schaffte es, eine Ju-88 anzulassen, und kariolte damit auf dem Flugplatz herum. Dabei vergaß er jede Vorsicht und geriet so nahe an eine He-111 heran, daß eine Luftschraube der Ju-88 durch eine Tragfläche sägte. Feuer brach aber nicht aus. Ich fand eine Me-109 G, an der noch keine Sprengladung angebracht worden war. Bei ihrem Rückzug hatten die Deutschen die Magnetzünder vieler Maschinen mit einer kleinen Sprengladung versehen, um sie für den Feind unbrauchbar zu machen.
Die Me-109 faszinierte mich aus vielen Gründen. Ich bewunderte ihre Leistung als in großer Höhe operierendes Jagdflugzeug sowie ihre Geschwindigkeit. Hinzu kam wohl auch, daß ich auf meinem letzten Flugeinen Zweikampf mit dem Piloten einer solchen Maschine ausgetragen hatte. In einem nahe gelegenen Hangar entdeckte ich eine Handkurbel für den Schwungkraftanlasser und fand den Hauptschalter genau an jener Stelle, an der er den britischen Geheimdienstberichten zufolge sitzen mußte. In den Tanks fand ich noch ein wenig Treibstoff und im Motor reichlich Öl. Ich stand auf der Flügelwurzel der rechten Tragfläche und kurbelte den Anlasser, bis er einen schrillen Ton von sich gab, sprang dann ins Cockpit und zog am T-Griff, um den Anlasser zu betätigen. Beim zweiten Versuch klappte es, und der Motor lief. Das Motorengeräusch war Musik in meinen Ohren, und ich bedauerte nur, diese Maschine nicht fliegen zu können. Etwa eine Viertelstunde ließ
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