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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Silhouetten gegen das Fenster ab. Deswegen werde ich mich immer an sie erinnern. Es herrschte ein angespannter Moment tödlichen Schweigens. Natürlich! Sie warteten darauf, daß der Dolmetscher zuerst spricht! Wir gingen zum Schreibtisch des Feldmarschalls, und mit einem forschen Gruß wagte ich den entscheidenden Schritt, Major O’Brian, den Verbindungsoffizier, und den Captain, seinen Stellvertreter, vorzustellen. Ich war wie erschlagen, welches Gewicht meine Worte erlangten, als ich mit deutscher Satzstellung sagte: «Herr Feldmarschall, darf ich Ihnen Major O ’Brian vorstellen aus demHauptquartier Feldmarschall Montgomery s, der im Auftrag von General Eisenhower, dem Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte in Europa, die endgültigen Bedingungen für die Kapitulation der deutschen Streitkräfte zu Land, auf dem Wasser und in der Luft überbringt.»
    Ich war noch mehr erstaunt, als mir bewußt wurde, das es meine Stimme war, die dem höchsten Befehlshaber der deutschen Wehrmacht wirklich diese feierliche Ankündigung des Kriegsendes gemacht hatte. Feldmarschall Keitel, eine imposante Gestalt in so trister Umgebung, öffnete das Schreiben, das ihm der Verbindungsoffizier übergab, und erwiderte mit einer Miene aus Granit: «Vielen Dank für dieses Dokument, das die Kapitulationsbedingungen enthält. Ich bin durch General Jodl, der mit mir vom Hauptquartier General Eisenhowers aus in Verbindung steht, wohin ich ihn heute morgen geschickt habe, schon mit diesen Bedingungen vertraut gemacht worden, aber ich brauche dieses Dokument und werde es zur Sicherheit behalten.»
    Wenn die Menschen Englisch oder Französisch sprechen, versteht man, was sie sagen, während sie es aussprechen. Wenn Leute Deutsch sprechen, weiß man, ehe sie fertig sind, nicht, was sie sagen. Die Antwort Feldmarschall Keitels lautete ungefähr so: «Ich Ihnen, für dieses Kapitulationsbedingungen enthaltende, als Sicherheit gebrauchte Dokument die Nachricht davon, die mir übermittelte aus General Eisenhowers Hauptquartier von dem dorthingesandten General Jodl heute morgen, Dank.»
    Während ich verzweifelt auf das letzte Verbum (ich glaube, es war «curse» oder «defy» oder «challenge» wartete, welches diesem endlos erscheinenden Satz den Sinn geben sollte, wandte ich mich militärisch nach halblinks zu dem Verbindungsoffizier und übersetzte die Worte des Feldmarschalls einfach, indem ich sagte: «Er sagte, dankeschön.» Major O ’Brian zog seine Augenbrauen hoch und schien anzudeuten: «Hat er das wirklich?» Zum Schluß sagte Keitel: «Und danken Sie Feldmarschall Montgomery für die Schnelligkeit, mit der er Sie geschickt hat.»
    Er griff nach seinem Stab und grüßte zackig, indem er ihn schräg vor seine Brust hielt. Das Monokel in seinem Auge wackelte bei dieser plötzlichen Bewegung seines Körpers. Wir salutierten auch, in weniger spektakulärer Art, wendeten uns nach rechts und verließen den Raum.
    Unsere nächste Aufgabe war, Seyss-Inquart zu finden. Er muß einen Wink bekommen haben, weil er sich abgesetzt hatte und unsere Nachforschungen nur auf ein negatives Echo trafen. Er war nicht aufzufinden. Er wurde jedoch später auf der Straße von der kanadischen Armeeaufgegriffen, die, um jede weitere heimliche Flucht zu verhindern, ihm seine falschen Zähne wegnahm. Wir hatten den Verdacht, daß auch Admiral Dönitz absichtlich abgehauen war, indem er Feldmarschall Keitel die Verantwortung überließ. Aber auch er kam nicht sehr weit, und alle wurden schließlich zum Prozeß nach Nürnberg gebracht.
    Als unsere kleine Dreiergruppe aus dem OKW auftauchte, die Vordertreppe hinunterging und in den Mercedes Benz stieg, der uns zum Flugplatz bringen sollte, stellten sich die deutschen Offiziere mit ihren Kameras auf und fotografierten.
    Erst als die Anson wieder ins Blaue hinaufdonnerte, versank ich in herrliche Entspannung.
    *
    Thea Sternheim 1883–1971
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    Das Ende der Schlächterei in Europa. Auf wie lange? Mir ist wie nach einer schweren Krankheit zu Mut. Meine Beine hängen mir wie Gummischläuche an. Nie aber war meine Hoffnung auf Erden geringer als heute. [...]
    Das promeniert, singt, schwitzt, die meisten Gesichter drücken eine seit lange nicht wahrgenommene Freude aus, die oft das Animalische streift. Ich erkenne deutlich Tierphysiognomien: Alle Art Vögel, Katzen, Schweine.
    Marguerite Duras 1914–1996
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