Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Bildern.
Bartel schlägt vor die Ausarbeitung der Losungen der Kommission zu überlassen.
Das russ. Komiteemitglied schlägt vor f. d. 1. Mai eine kurze Entwicklungsgeschichte über die Zeit vom 1. Mai 1944 bis 1. Mai 1945 auszuarbeiten. (Komitee einverstanden)
Der Aufmarsch am 1. Mai soll nach Nationen und mit Transparenten geschehen.
Wegen Anzahl der Fahnen sollen sich die nat. Komitees mit den Beauftragten der Kommission in Verbindung setzen.
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Die Sekretärin
Christa Schroeder †1984
Berlin – Obersalzberg
Als am 20. April 1945 Hitler 56 Jahre alt wurde, war Berlin umzingelt. Die ersten russischen Panzer standen vor Berlin. Der Donner der Infanteriegeschütze drang bis in das Gebiet der Reichskanzlei. Die Gratulationscour des persönlichen Stabes und der Militärs am Vormittag war im Vergleich zu früheren Jahren in sehr gedämpfter Atmosphäre erfolgt. Um so aufdringlicher war die Gratulationscour der Alliierten, indem sie fast unentwegt vom frühen Morgen bis gegen 2 Uhr nachts rollende Luftangriffe auf Berlin flogen. Wir kamen aus dem Bunker nicht mehr heraus. Gemäß dem Dienstplan leisteten Johanna Wolf und ich dem Chef Gesellschaft beim Mittagessen. Während des Essens herrschte eine sehr gedrückte Stimmung. Am Abend, mitten unter einem Angriff, es mag kurz vor 22 Uhr gewesen sein, wurden Johanna Wolf und ich zumChef gerufen. Müde, blaß und abgespannt empfing uns Hitler in seinem kleinen Arbeitsraum im Bunker. Er sagte: «... daß sich die Lage in den letzten vier Tagen sehr verändert habe.» Am 16. April hatte er mir noch beim Mittagessen im Treppenzimmer auf meine Frage, ob wir in Berlin bleiben würden, fast unwillig geantwortet: «Natürlich bleiben wir in Berlin. Sie brauchen keine Angst zu haben!» Ich entgegnete ihm, daß ich keine Angst habe, da ich sowieso mit dem Leben abgeschlossen hätte. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, wie das weitergehen solle, wo von der einen Seite die Amerikaner und der anderen die Russen täglich näher rückten. «Beruhigen Sie sich», antwortete Hitler ärgerlich: «Berlin bleibt deutsch, wir müssen nur Zeit gewinnen!» Auch bei seiner letzten Ansprache an die Gauleiter am 24. Februar 1945 in Berlin teilte Hitler seine unerschütterliche Überzeugung mit: «Wir müssen Zeit gewinnen!» Nun sagte er zu uns: «Die Lage hat sich in den letzten vier Tagen so verändert, daß ich mich gezwungen sehe, meinen Stab aufzulockern. Da Sie die Älteren sind, machen Sie den Anfang. In einer Stunde geht ein Wagen in Richtung München. Zwei Koffer können Sie mitnehmen, das Weitere sagt Ihnen Reichsleiter Bormann.»
Ich bat ihn, da ich keine Familienangehörigen besaß, in Berlin bleiben zu dürfen, er möge statt meiner die jüngere Kollegin fahren lassen, deren Mutter in München lebte. Doch davon wollte er nichts wissen. «Nein, ich will später eine Widerstandsbewegung gründen und dazu brauche ich Euch beide. Ihr seid mir die Wertvollsten. Wenn es zum äußersten kommt, werden die Jungen immer durchkommen, Frau Christian wird sich auf jeden Fall durchschlagen und wenn wirklich eine der Jungen draufgeht, so ist das eben Schicksal!»
Er verabschiedete sich von uns nicht, wie bisher immer üblich, mit einem Handkuß, sondern jetzt mit einem Handschlag. Damit wollte er wohl zum Ausdruck bringen, daß er keinen Widerspruch mehr gelten lasse und das Gespräch für ihn beendet sei. Sicher bemerkte er unsere gedämpfte Stimmung, denn er sagte dann noch, vielleicht mit dem Versuch uns trösten zu wollen: «Wir sehen uns bald wieder, ich komme in einigen Tagen nach!»
Dieser Befehl zum Verlassen Berlins am 20. April 1945 entsprach nicht meiner damaligen Vorstellung, da ich mich bereits damit abgefunden hatte, gegebenenfalls die mir von Skorzeny im Tausch gegen eine Flasche Whisky übergebene Messingkapsel mit Zyankali zu benutzen. [...] Mir waren plötzlich und unerwartet befohlene Reisen schon von jeher ein Greuel gewesen. Diese Anordnung Hitlers überstieg aber meine frühere Unlustgefühle bei weitem und versetzte mich in Verwirrung. Wieerstarrt verließ ich Hitler, um mich zusammen mit meiner Kollegin Wolf zum Kofferpacken zu begeben. [...]
Der Vorraum zum Bunker in der Voßstraße war voll gedrängt mit Menschen, die vor den anhaltenden Luftangriffen von der Voß straße herein in den Bunker geflüchtet waren. Der uns Sekretärinnen zur Verfügung stehende Raum war ursprünglich als «Sendestation» für Radioaufnahmen gedacht. Ich hatte mich darin höchst
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