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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ungern aufgehalten, da die Decke und die Wände mit schalldämmenden Platten belegt, jeden Ton schon während des Sprechens verschluckten. Ein toter Raum von bedrückender Stille wie ein Grab.
    Die Packerei kam mir sinnlos vor. Plötzlich läutete das Telefon. Der Chef war am Apparat. Mit kraftloser Stimme sagte Hitler: «Kinder, das Loch ist bereits geschlossen (wir hätten mit dem Auto durch das Protektorat fahren sollen). Ihr kommt dort mit dem Wagen nicht mehr durch und müßt nun morgen früh fliegen!»
    Nach Mitternacht rief Hitler noch einmal an: «Kinder», sagte er, «Ihr müßt Euch fertig machen, beeilt Euch, die Maschine startet sofort nach der Entwarnung.» Seine Stimmte klang matt und brach mitten im Gespräch ab. Ich fragte zurück, aber obwohl er den Hörer nicht aufgelegt hatte, gab er keine Antwort mehr. Dies waren übrigens die einzigen Telefonate, die ich in den 12 Jahren mit Hitler geführt hatte. [...]
    Kurze Zeit später, es mag so gegen 1/23 Uhr morgens gewesen sein, bahnten wir uns einen Weg zurück durch die überfüllten Gänge des öffentlichen Bunkers der Voßstraße in der Reichskanzlei, in dem es wie in einem Bienenschwarm summte und brodelte. Neugierig starrten alle auf uns und unsere zwei Koffer. Ich hatte ganz erbärmliche Gefühle und ging voller Scham an den verängstigten Menschen vorbei. [...]
    Als wir endlich in einem der Autos saßen, mußten wir feststellen, daß sich der Fahrer in Berlin überhaupt nicht auskannte. Auch hatte er keine Anweisung bekommen, ob er uns nach Tempelhof oder Staaken bringen sollte. Auf jeden Fall brachte er uns fälschlicher- oder glücklicherweise nach Tempelhof. Es war eine macabre Fahrt durch das nächtliche Berlin. An brennenden Häusern, qualmenden Trümmerhaufen, Ruinen und Wolken von Rauch ging es an Volkssturmmännern vorbei, die damit beschäftigt waren, Straßensperren zu errichten. In gar nicht weiter Ferne hörte man den Donner der russischen Artillerie.
    Am Flugplatz Tempelhof angekommen, war von einer Ju 52, von der Oberst von Below, Hitlers Luftwaffenadjutant, gesprochen hatte, nichts bekannt. Der Kommandant des Flughafens gab uns den Rat zu versuchen, in der gerade aus Norddeutschland avisierten Transport-Ju, dienach Salzburg fliegen sollte, unterzukommen. Dies glückte uns dann auch nach einigen Verhandlungen.
    Ohne unsere Koffer, nur mit einer Reisetasche und einem, auf Anordnung von SS-Obergruppenführer Schaub in letzter Minute gepackten Rucksack, dessen Hauptinhalt aus runden Blechdosen mit «Schoko-Dallmann» bestand, startete das Flugzeug.
    Nach dem Start, der durch einen Schneeregen erschwert wurde, kamen wir nach einem aufregenden Flug über brennende Dörfer und Städte im Morgengrauen auf dem Salzburger Flughafen an. Die Angst war furchtbar gewesen, wenn Geräusche, die auf einen Beschuß schließen ließen, dumpf an unsere mit Watte verstopften Ohren drangen und die Maschine abzusacken schien. Wir saßen stumm in der Transportmaschine zwischen den fremden Soldaten auf grün angestrichenen Munitionskisten am Boden. Ich kann mich nicht erinnern, daß auch nur ein Wort gesprochen wurde. Wir waren wie gelähmt, als wir landeten. Bedrükkend war diese Stille plötzlich.
    Als wir einige Stunden später mit einem Omnibus auf den Obersalzberg fuhren, habe ich mich im nachhinein gewundert, diesen Flug überhaupt lebend überstanden zu haben.
    *
    Iwan Litwin *1924
bei Artern /Thüringen
    Bis auf einen Tag genau drei Jahre lang habe ich bei dem Bauern Robert Bachmann in einem kleinen Dorf gearbeitet. Sein einziger Sohn hieß auch Robert, er war drei oder sogar vier Jahre jünger als ich. Kurz vor Kriegsende wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Bald hörte ich seine Mutter sagen, ihr Robert kämpfe irgendwo im Westen und komme Gott sei Dank, wenn es sein müsse, in amerikanische Gefangenschaft. Wir waren drei Ostarbeiter aus der Ukraine bei unserem Bauern. Vorher gab es noch zwei Franzosen, doch sie waren so anspruchsvoll, ständig kamen sie mit neuen Wünschen und ließen ihre Umgebung ihre schlechte Laune spüren. Deshalb hatte Herr Bachmann sie an einen Blumenzüchter in Sondershausen abgegeben.
    Mein Landsmann Kolja Malaschtschuk war aus Kiew und stammte aus einer hochintelligenten Familie, er konnte sogar Klavier spielen. Er war ein wenig jünger als ich. Vor dem Krieg war er Sportler gewesen, sein Körper war deshalb sehr muskulös. Die Arbeit in einem fremden Land weit weg von seinem lieben Kiew schien ihm unerträglich zu sein.

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