Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
«Arbeite oder stirb» und «Zum Teufel mit dir, wenn du krank bist.»
Am Tor des Lagers wurden wir von einer großen hageren Gestalt in einer zerlumpten italienischen Uniform empfangen. Wir konnten nicht viel anfangen mit dem, was er uns zu sagen versuchte, und da er ein ziemlicher Esel zu sein schien, schoben wir ihn beiseite und machten uns auf den Weg ins Lager, bis wir das Lagerhauptquartier fanden. Der Kommandant war nicht da, aber der diensthabende Offizier schickte einen Melder nach ihm, und man stelle sich unsere Überraschung und Verlegenheit vor, als ein paar Minuten später niemand anderes auftauchte als unser Freund, die Vogelscheuche vom Haupttor. Er war offensichtlich ein leibhaftiger General der italienischen Armee!
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Benito Mussolini 1883–1945
Mailand/Palazzo Monforte
Interview
Die berühmten zerstörerischen Bomben werden hergestellt. Erst vor wenigen Tagen habe ich präzise Nachrichten erhalten. Vielleicht will Hitler nicht eher zum Schlag ausholen, bevor er nicht die absolute Sicherheit hat, daß er entscheidend ist. Es scheinen drei Bomben mit unglaublicher Wirkung zu sein. Die Herstellung jeder einzelnen ist schrecklich kompliziert und langwierig. Auch der Verrat Rumäniens hat darauf Einfluß gehabt, insofern, als der Mangel an Benzin einer der Hauptgründe für den Verlust der Vorherrschaft in der Luft war. Zwanzig-, dreißigtausend stillstehende oder zerstörte Flugzeuge. Mangel an Treibstoff. Die schrecklichste aller Tragödien.
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8. Sitzung des Lagerkomitees
KZBuchenwald
Stellungnahme des neuen Kdt.:
Eiden teilt mit daß der neue Kommandant (Kapt. Ball) das Lager besichtigt hat und grundsätzlich mit der Arbeit der Komitees einverstanden ist. Er bittet das int. Komitee die Dinge weiterhin in den Händen zu behalten und den Kameraden im Lager das zu verschaffen, was sie benötigen. Er ist weiter der Auffassung, daß das traurige Kapitel der SS-Herrschaft in Buchenwald sichtbar zum Abschluß gebracht werden soll und bittet alles was auf ehemaligen Schreckenstaten schließen läßt zu beseitigen. Es soll vor allen Dingen bei dem Krematorium begonnen werden. (Beseitigung der Asche und Urnen und ihre Beisetzung am Bismarkturm.) Der Kommandant weist darauf hin, daß die Toten der Nationen in irgendeinen Raum aufgebahrt werden sollen (Vorschlag: Halle 8, Gustl.- Werk).
Eiden hat den Kdtn. vorgeschlagen, daß die noch sterbenden Kameraden auf einen Friedhof in Weimar beigesetzt werden möchten. Der Kdt. ist mit diesen Vorschlag einverstanden. Um 12 Uhr soll bereits ein Transport von toten Kameraden nach Weimar abgehen, die dort auf einen Art Ehrenfriedhof in die Erde beigesetzt werden. [...]
Ab heute Nachmittag läuft ein Film. (Vorschläge der Komiteemitgl. Kinobesuch nationsweise, die Nationen haben selbst für Ordnung während des Kinobesuchs zu sorgen. Ausgabe von Karten. Besuch zuerst für Russen, Tschechen u. Polen.
[Zum] 1. Mai: Pieck:
Am 1. Mai 8 Uhr Weckruf und Marsch der Kapelle durch das Lager.
9 Uhr oder 11 Uhr (je nach den Umständen ob Besucher das Lager betreten dürfen oder unsere Kameraden raus können) eine zentr. Zusammenkunft auf den Appellplatz.
Programm: 3 Sprecher (die noch zu bestimmen sind, Vorschlag: slw., russ., roman.)
Musik – zum Abschluß eine Pantomime und evtl. Ausmarsch unserer Kameraden.
Nachmittags nationales Zusammentreffen bzw. Zusammenkunft in den Sälen die uns unter Umständen im Lager zur Verfügung stehen.
Die Dekoration der Säle führt als Beauftragter der Kamerad Hurta, von Block 53, durch. Mit der Verteilung der Räume wird ein österr. Kamerad betraut.
Ab 19 Uhr findet auf dem Appellplatz ein intern. Volksfest statt, wo dieeinzelnen Nationen bestimmte Plätze zugewiesen bekommen. Den Aufbau übernimmt ebenfalls der tsch.-slv. Kamerad Hurta.
Zu all den für den Aufbau erforderlichen Arbeiten müssen natürlich die einzelnen Komitees Leute zur Verfügung stellen.
Der tsch.-slv. Kamerad Sitte wurde mit der Organisation der Musik- und Kabarett-Veranstaltungen betraut.
Das Komitee möchte beschließen, welche Bilder für die Großkundgebung am 1. Mai angefertigt werden sollen. Die Veranstaltungs-Kommission schlägt vor: Stalin, Roosevelt, Churchill u. Thälmann.
Der tsch.-slv. Kamerad Neumann möchte den Vorschlag auf die Bilder von Benesch und Tido erweitert haben.
Das Lagerkomitee einigt sich auf folgende Festlegung: Anfertigung der Bilder von Stalin, Roosevelt, Churchill und wenn technisch möglich von den weiter genannten
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