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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dieser kurzen Zeit, Menschen, die sich nicht gegen den Tod aus Hunger und Typhus wehren konnten. – Das geschah ohne Bombardement. – Fast 12000 Tote. – Sollten wir da nicht genauso ruhig einem Tode durch Bomben und Granaten entgegensehen? – Wer will entfliehen? – Wir müssen ruhig bleiben, wo wir sind. – Wen es trifft, den wird es treffen. – Auch die vielen Kriegsgefangenen und die anderen Kameraden in anderen Lagern sind ja in Gefahr. – Trotzdem ist es ein seltsames Gefühl für uns, gerade zwischen zwei kriegführenden Parteien zu liegen, ohne allen Schutz. – Denn im Rücken hält der Nazifeind München, und von Augsburg her kommen unsere Befreier, die Amerikaner. –
    K.A. Gross
KZ Dachau
    Jahrmarkttreiben und Meßgewühl hat sicher etwas Schönes, vielleicht sogar Poetisches an sich – einmal – im Jahr. Aber im Trubel aufstehenund im Meßgewühl schlafen gehen, und beim Essen nicht wissen, wohin mit dem Napf, da hört die Gemütlichkeit auf, und auch von Poesie bleibt keine Spur mehr. Zu einem solchen Herdenheringsleben ist der Mensch nicht geschaffen, wenn wir irgendeine Ahnung von den Absichten des Schöpfers haben; gewiß nicht. Lieber Hax, was haben sie aus deinem sauberen Musterblock gemacht von anno dazumal! Gedenkst du noch der alten Zeiten, wo du den Wirt sozusagen einer Tiroler Bauernschenke spieltest, die Kumpels als deine Gäste betrachtend, die du gerne mit einer Tischkegelrunde unterhieltest. Martin, der Nürnberger, spielte als Stubenpharao den weiblichen Gegenpol, der mit seinem «Guat Nacht jetz und Ruah is!» manche Schärfe vor dem Einschlafen wieder ausglich. Und diese Exklusivität! Ja, ihr habt etwas gehalten auf Ordnung und Auswahl, da konnte sich manches Studentenkorps ein Beispiel dran nehmen. Nur Reichsdeutsche hatten Zutritt zu eurem Klub, und in die erste Stube durften nur Capos rein und vielleicht noch dieser oder jener schöne Bube. Ja, was haben sie aus deinem Block gemacht: eine internationale Spelunke, darin sogar Grüne und Schwarze Aufnahme finden – pfui doch! – und Zigeuner. Und doch, was wahr ist, muß wahr bleiben, es sind diese Zigeuner noch gesittete Herren im Vergleich mit manchen Reichsdeutschen, die jetzt unter uns das große Wort führen, und die ihr Deutschtum damit dokumentieren, daß sie sich an Landsleuten wie dem Knaben Hiob vergreifen, den gestern einer von ihnen betätschelte, daß er im hohen Bogen an die Ofenecke flog.
    Heute abend geht’s bunt zu in der Stube: Zigeunermusik. Der schwarze Oskar spielt die Zither, daß es eine Art hat. Wer merkt ihm an, daß er erst zu Beginn der Woche zurückgekehrt ist vom Katastrophenkommando, einer Art von Sprengkommando, nachdem es erst das Kommando gesprengt hat statt der Ruinen. Reich mit Beute beladen ist er angekommen, mit einem Zigeunersack voll Brotkrusten, Konserven und Rauchspeck. Das sind Ausweise, die bei uns für den Zutritt zu den höchsten Gesellschaftskreisen vollkommen genügen.
    Edmond Michelet 1899–1970
(KZ Dachau)
    Ein anderes Bild kommt mir in Erinnerung, eines der eindrucksvollsten dieser letzten Wochen. Citron und ich waren eines Abends unterwegs in der Allee, die am Ende des Lagers am Kaninchenkommando entlanggeht. Im vergangenen Jahr war ich mit meinen Schülern, den polnischen Pfarrern, oft dort entlanggegangen.
    Der bisher blaugraue Himmel stimmte endlich in die Szene ein. VomWesten her kam der Lärm von Panzern und Artilleriefeuer immer näher; dort riegelte ein purpurroter Streifen das ab, was wir vom Horizont erblicken konnten. Eine wagnerische Szenerie, ein Bild aus der Apokalypse. Wir bewegten uns jetzt in einem Laufgraben, der durch eine doppelte Reihe aufeinandergehäufter Leichen entstanden war. Auf ihren Wachttürmen schoben die SS-Leute die letzten Stunden eines Dienstes, der seit zehn Jahren dauerte. Sie ließen ihre Raubvogelaugen über den unruhigen Ameisenhaufen kreisen und ebenso die Mündungen ihrer Maschinengewehre, die bereit waren, beim geringsten Anzeichen einer gemeinsamen Unternehmung in Tätigkeit zu treten.
    Da dringt merkwürdiger Gesang zu uns: eine Mischung von Kriegs- und Kirchenlied. Die Klänge kommen näher. Wir verstehen die Worte. Citron erkennt ein Marschlied der Nazijugend. In dieser schwarz-roten Dämmerung ist der Eindruck ergreifend. Die letzten SS-Rekruten kommen vom Exerzieren zurück.
    «Geben wir es zu», sagt Citron, «dieser Zusammenbruch hat doch in seiner Art etwas Großartiges.»
    *
    Der französische Häftling

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