Das echte Log des Phileas Fogg
neuen Lage zu unterrichten, der vor Foggs Tür aufpaßte.
Passepartout stöhnte unter dem Knebel. Hätten Mr. Fogg und Aouda gewußt, daß für eine Zeitlang nur ein Gegner vor ihrer Tür stand, wäre ihnen ein Durchbruchsversuch möglich gewesen. Und gegen nur einen Mann hätte er gelingen können.
19
Aouda hatte sich in ihrem Zimmer befunden und sich gefragt, ob Phileas Fogg sie wohl jemals um ihre Hand bitten würde.
Falls sie in Kürze zu einem anderen Auftrag abkommandiert wurde, sah sie ihn vielleicht nie wieder. Tat er es nicht bald, bekam er womöglich nie mehr die Gelegenheit dazu, selbst wenn er wollte. Vielleicht zögerte er nur, weil sie eine Parsin war. Doch sie ähnelte viel mehr einer Europäerin, und ihre Kinder könnten Europäern noch weit stärker gleichen.
Sie bezweifelte jedoch, daß ihre orientalische Herkunft den Grund seines Schweigens abgab. Was kümmerte sich Fogg um die Meinung anderer Leute? Nein, die Schwierigkeit lag in seiner Unfähigkeit, tiefen Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Er besaß zuviel Selbstbeherrschung, und das hieß, daß er in mancher Hinsicht nicht sein wahres Ich beherrschte.
Fogg, der in seinem Zimmer saß, dachte darüber nach, ob er Aouda um ihre Hand bitten sollte. Aber was für ein Leben vermochte er ihr schon zu bieten? Gewiß, es stimmte, daß sie, sobald sie Kinder hatten, keine Aufträge mehr würde erledigen müssen. Doch sie würde niemals Ruhe finden. Immer wieder würde er für lange Zeit von ihr getrennt sein, zumeist in Gefahr, jederzeit in der Erwartung, getötet zu werden. Außerdem würden die Capellaner, falls sie ihren Aufenthaltsort erfuhren, sie ermorden und wahrscheinlich auch die Kinder. In diesem Moment hörten Fogg und Aouda Passepartouts Aufschrei.
Fogg stürzte auf den Korridor, einen Revolver in der Hand. Wenige Sekunden später kam auch Aouda aus ihrem Zimmer, ebenso mit einem Revolver bewaffnet.
Fogg winkte ihr zu, sie möge am anderen Ende des Korridors den Personalaufgang bewachen, und eilte zum obersten Absatz des großen Haupttreppenhauses. Noch auf dem Weg dorthin vernahm er das Gepolter von Stiefeln auf den Stufen. Imletzten Augenblick erreichte er den Treppenabsatz. Über die Treppen der 2. Etage kamen drei Männer, und alle trugen Schußwaffen, die Fogg unverzüglich als Luftpistolen erkannte. Er kannte auch zwei der Männer. Einer war ein Nachbar, der liederliche verhurte junge Baronet Sir Hector Osbaldistone. Der andere war Nemo. Er hatte seine Augentarnung entfernt, die so sehr seinen Gesichtskreis beschränkte, und die falsche Nase und den falschen Schnurrbart abgerissen.
Fogg und Nemo feuerten fast gleichzeitig, und beide Schüsse verfehlten ihr Ziel. Die Angreifer wichen nach unten zurück.
Fogg hörte hinter sich einen Schuß fallen. Er wirbelte herum und sah Rauch aus der Mündung von Aoudas Revolver quellen, und dann sah er Aouda rücklings gegen die Wand taumeln. Sie sank an der Wand zusammen, legte die Waffe ab und hielt sich die rechte Schulter. Durch die Finger ihrer linken Hand sickerte Blut.
»Aouda!« Fogg stürmte durch den Korridor zu ihr. »Aouda!« Sie war blaß und ihr Blick getrübt, aber sie vermochte zu sprechen.
»Die Kugel hat mich nur gestreift«, flüsterte sie.
Fogg nahm ihre Hand von der Schulter und sah mit einem Blick, daß ihre Behauptung nicht stimmte. Das Geschoß hatte die Oberwölbung ihrer rechten Brust gestreift und die Haut aufgerissen, war aber dann unterhalb des Schlüsselbeins in den Körper gedrungen. Anscheinend hatte der Durchschuß das Fleisch durchschlagen, ohne den Knochen zu verletzen, doch dessen konnte man nicht sicher sein. Sie blutete stark aus beiden Wunden und würde rasch in Ohnmacht sinken oder gar sterben, wenn man die Blutung nicht stillte.
Aber wenn er sich um Aouda kümmerte, konnte der Gegner das Treppenhaus stürmen.
Aouda war außerstande, den anderen Aufgang weiterhin zu verteidigen, und Fogg vermochte sich nicht nach beiden Seiten zu erwehren. Er konnte nur eins tun.
Er hob Aouda auf und trug sie durch den Korridor in sein Schlafzimmer. Das Blut, das sie verlor, tropfte auf den Boden und hinterließ eine deutlich sichtbare Spur. Dem war nicht abzuhelfen.
Im Schlafzimmer streckte er sie auf seinem Bett aus und verriegelte die Tür. Aus dem Medizinschrank in seinem Bad holte er Mull und Verbandszeug, womit er in fieberhafter Hast die Wunden versorgte. Erstmals hatte er seinen Gleichmut verloren.
Aouda starrte zu ihm empor und murmelte etwas. Er
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