Das egoistische Gen
zum gegenseitigen Nutzen sind unter Tieren und Pflanzen weit verbreitet. Eine Flechte scheint, oberflächlich betrachtet, eine einzelne Pflanze wie jede andere zu sein. In Wirklichkeit ist sie jedoch eine enge symbiotische Verbindung zwischen einem Pilz und einer Alge. Keiner der Partner könnte ohne den anderen leben. Wäre ihre Verbindung noch ein kleines bißchen enger, so wären wir nicht mehr in der Lage festzustellen, daß eine Flechte überhaupt ein Doppelorganismus ist. Vielleicht gibt es dann noch andere aus zwei oder mehr Partnern zusammengesetzte Organismen, die wir nicht als solche erkennen? Sind eventuell sogar wir selbst ein zusammengesetzter Organismus?
In jeder einzelnen unserer Zellen gibt es zahlreiche winzige Körper, die Mitochondrien heißen. Die Mitochondrien sind chemische Fabriken; sie liefern uns den größten Teil der Energie, die wir verbrauchen. Wenn wir unsere Mitochondrien verlören, wären wir innerhalb von Sekunden tot. Vor kurzem wurde glaubhaft die Ansicht vertreten, daß die Mitochondrien ihrem Ursprung nach symbiotische Bakterien sind, die sich bereits in einem sehr frühen Stadium der Evolution mit unserem Zelltyp zusammengetan haben. Ähnliche Vermutungen sind in bezug auf andere kleine Körper im Innern unserer Zellen geäußert worden. Dies ist einer jener revolutionären Gedanken, bei denen man Zeit braucht, um sich an sie zu gewöhnen; aber es ist ein Gedanke, für den die Zeit reif ist. Ich vermute, wir werden schließlich auch noch die radikalere Idee akzeptieren, daß jedes einzelne unserer Gene eine symbiotische Einheit ist. Wir sind gigantische Kolonien symbiotischer Gene. Man kann nicht eigentlich von „Beweisen“ für diese Vorstellung sprechen, aber sie ist – wie ich in den vorangehenden Kapiteln stellenweise anzudeuten versucht habe – tatsächlich unseren Vorstellungen von der Wirkungsweise der Gene bei Arten mit sexueller Fortpflanzung inhärent. Die andere Seite der Medaille ist, daß Viren Gene sein können, die von „Kolonien“, wie wir selbst eine sind, losgebrochen sind. Viren bestehen aus reiner DNA (oder einem verwandten sich selbst replizierenden Molekül), die von einer Proteinhülle umgeben ist.
Sie sind alle Parasiten. Es liegt nahe, daß sie sich aus „rebellierenden“ Genen entwickelt haben, die dem Körper entschlüpft sind und nun statt mit den gebräuchlichen Vehikeln – den Spermien und Eiern – unmittelbar durch die Luft von Körper zu Körper reisen. Wenn dies zutrifft, könnten wir uns ebensogut als eine Kolonie von Viren ansehen! Einige von ihnen arbeiten in Symbiose zusammen und bewegen sich in Samen- und Eizellen von Körper zu Körper fort. Das sind die konventionellen „Gene“. Andere leben als Parasiten und reisen mit jedem verfügbaren Verkehrsmittel. Wenn die parasitäre DNA sich in Eiern und Spermien fortbewegt, dann bildet sie vielleicht den in Kapitel 3 erwähnten „paradoxen“ DNAÜberschuß. Bewegt sie sich durch die Luft oder auf anderen direkten Wegen fort, so heißt sie „Virus“ im üblichen Sinne.
Doch dies sind Spekulationen für die Zukunft. Im Augenblick beschäftigen wir uns mit der Symbiose auf der höheren Ebene der Beziehungen zwischen vielzelligen Organismen und nicht im Innern dieser Organismen. Das Wort Symbiose wird gewöhnlich für Verbindungen zwischen Angehörigen verschiedener Arten gebraucht. Doch nachdem wir in diesem Buch die Vorstellung von der Evolution „zum Wohle der Art“ vermieden haben, scheint es keinen logischen Grund zu geben, warum wir Verbindungen zwischen Angehörigen verschiedener Arten und zwischen Angehörigen derselben Art als getrennte Erscheinungen betrachten sollten. Im allgemeinen werden sich Verbindungen zum wechselseitigen Nutzen dann entwickeln, wenn jeder Partner mehr gewinnen kann, als er investiert. Dies gilt unabhängig davon, ob wir von Angehörigen desselben Hyänenrudels oder von ganz verschiedenen Geschöpfen wie Ameisen und Blattläusen oder Bienen und Blumen sprechen.
In der Praxis ist es möglicherweise schwierig, zwischen Fällen von echtem – in beiden Richtungen wirksamem – wechselseitigem Nutzen und Fällen einseitiger Ausbeutung zu unterscheiden.
Die Evolution symbiotischer Verbindungen ist theoretisch leicht vorstellbar, wenn die Vorteile gleichzeitig gegeben und entgegengenommen werden, wie im Falle der Partner, die eine Flechte bilden. Probleme entstehen jedoch da, wo zwischen dem Leisten eines Gefallens und seiner Erwiderung ein zeitlicher
Weitere Kostenlose Bücher